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Adventskalender 2024 T-12: Tuzub 37

von am 12. Dezember 2024

  • Paul Gurk
    TUZUB 37.
    DER MYTHOS VON DER GRAUEN MENSCHHEIT ODER VON DER ZAHL 1.
    Vorwort: Horst Illmer, Nachwort: Emil Fadel
    Berlin, Hirnkost, 2024, 265 S.
    Wiederentdeckte Schätze der deutschsprachigen Science Fiction, Band VII
    ISBN 978-3-98857048-2 / 32,00 Euro
    Hardcover

Mit TUZUB 37 – DER MYTHOS VON DER GRAUEN MENSCHHEIT ODER VON DER ZAHL 1 schrieb Paul Gurk (26. April 1880, Frankfurt/Oder – 12. August 1953, Berlin) eine in die fernste Zukunft reichende Chronik über die weitere Entwicklung des Menschengeschlechts, wie es sie in der Science Fiction sonst nur noch bei Olaf Stapledon in dessen philosophischem Hauptwerk DIE LETZTEN UND DIE ERSTEN MENSCHEN gibt. Während sich bei Stapledon jedoch die Menschen über die Galaxis ausbreiten, bleibt Gurks Menschheit auf der Erde – schließlich gibt es auch hier genug zu tun. Denn das Bestreben der künftigen Menschen ist es, alles zu vereinheitlichen. Das Ideal ist die Zahl 1 und der Weg dorthin geht über die Zerstörung von allem was „Natur“ ist – seien es Tiere, Pflanzen, Berge oder Meere. Auch die Menschen selbst sollen sich ändern, sollen einander „gleich“ werden, im ultimativen Versuch, damit eine gleichförmige Unsterblichkeit zu erreichen.
Diese Gleichheit Aller erreicht die „Graue Menschheit“ (die sich selbst so nennt) durch gezielte Genmanipulation ebenso wie eine ständig verbesserte Transplantations- und Prothesentechnik. Als Ideal wird eine Art Roboter oder Cyborg angestrebt, der Nahrung bzw. Energie ebenso wenig braucht wie Schlaf oder Ruhepausen.
In die Beschreibung dieser mit unerbittlicher Logik durchgeführten Vernichtungsarbeit schiebt der Autor immer wieder Kapitel mit fast märchenhaft anmutenden Passagen, in denen die Natur agiert. Hier unterhalten sich Meer und Wind, eine Quelle übersetzt die Menschensprache für die letzten Tiere und Pflanzen, die Dämonen von Hagel, Schnee und Unwetter erscheinen personifiziert. Die Berge sind – fast naiv – als Riesen dargestellt, die erst aus ihrem Schlaf hochschrecken, als es zu spät ist.
Alle diese Naturereignisse, Sinnbilder einer gesunden Ökologie, füllt Gurk mit Leben und Charakter. Hier ist seine Sprache, sein Stil poetisch, melodisch, farbig, ja manchmal melodramatisch. Ganz im Gegensatz dazu steht sein Stil bei der Beschreibung der „Grauen“: kurze, harte Sätze, Wiederholungen, eine jeglichen Ausdruck vermissen lassende Sprache, funktionell und farblos, kennzeichnen diese Abschnitte. Hier tritt Gurks Erfahrung als Verfasser expressionistischer Theaterstücke und Gedichte klar hervor. Vor allem durch diesen Stil unterscheidet sich TUZUB 37 von praktisch allen anderen damaligen und heutigen Zukunftsentwürfen.

Womit wir beim vorliegenden, eindrucksvoll-massiven Hardcover wären. Hier zeigt sich, wie toll es ist, wenn kluge Köpfe und engagierte Menschen zusammenarbeiten und einen Text die ihm gemäße Ehre erweisen. Neben einem Vorwort finden geneigte Lesende natürlich den hervorragend lektorierten Romantext von TUZUB 37 sowie zwei phantastische Erzählungen Gurks aus dessen Geschichtensammlung DIE BUNTEN SCHLEIER und ein begeisterndes Nachwort des Germanisten und Filmwissenschaftlers Emil Fadel, in dem dieser auf eine Vielzahl von Anspielungen, Parallelen und Anknüpfungspunkten zwischen Gurks visionärem Erzählen und der Gegenwarts-Science-Fiction aufmerksam macht.

Fazit: TUZUB 37 – DER MYTHOS VON DER GRAUEN MENSCHHEIT ODER VON DER ZAHL 1 ist für mich der literarisch herausragende Zukunftsentwurf des 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache. Diese vollmundige Behauptung muss aber niemand mehr „einfach so“ glauben. Die ab sofort erhältliche Neuedition lädt dazu ein, das selbst zu überprüfen – und einzutauchen in einen Mythos, der aktueller und lebendiger kaum sein könnte.

Horst Illmer

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von am 12. Dezember 2024

  • Paul Gurk
    TUZUB 37.
    DER MYTHOS VON DER GRAUEN MENSCHHEIT ODER VON DER ZAHL 1.
    Vorwort: Horst Illmer, Nachwort: Emil Fadel
    Berlin, Hirnkost, 2024, 265 S.
    Wiederentdeckte Schätze der deutschsprachigen Science Fiction, Band VII
    ISBN 978-3-98857048-2 / 32,00 Euro
    Hardcover

Mit TUZUB 37 – DER MYTHOS VON DER GRAUEN MENSCHHEIT ODER VON DER ZAHL 1 schrieb Paul Gurk (26. April 1880, Frankfurt/Oder – 12. August 1953, Berlin) eine in die fernste Zukunft reichende Chronik über die weitere Entwicklung des Menschengeschlechts, wie es sie in der Science Fiction sonst nur noch bei Olaf Stapledon in dessen philosophischem Hauptwerk DIE LETZTEN UND DIE ERSTEN MENSCHEN gibt. Während sich bei Stapledon jedoch die Menschen über die Galaxis ausbreiten, bleibt Gurks Menschheit auf der Erde – schließlich gibt es auch hier genug zu tun. Denn das Bestreben der künftigen Menschen ist es, alles zu vereinheitlichen. Das Ideal ist die Zahl 1 und der Weg dorthin geht über die Zerstörung von allem was „Natur“ ist – seien es Tiere, Pflanzen, Berge oder Meere. Auch die Menschen selbst sollen sich ändern, sollen einander „gleich“ werden, im ultimativen Versuch, damit eine gleichförmige Unsterblichkeit zu erreichen.
Diese Gleichheit Aller erreicht die „Graue Menschheit“ (die sich selbst so nennt) durch gezielte Genmanipulation ebenso wie eine ständig verbesserte Transplantations- und Prothesentechnik. Als Ideal wird eine Art Roboter oder Cyborg angestrebt, der Nahrung bzw. Energie ebenso wenig braucht wie Schlaf oder Ruhepausen.
In die Beschreibung dieser mit unerbittlicher Logik durchgeführten Vernichtungsarbeit schiebt der Autor immer wieder Kapitel mit fast märchenhaft anmutenden Passagen, in denen die Natur agiert. Hier unterhalten sich Meer und Wind, eine Quelle übersetzt die Menschensprache für die letzten Tiere und Pflanzen, die Dämonen von Hagel, Schnee und Unwetter erscheinen personifiziert. Die Berge sind – fast naiv – als Riesen dargestellt, die erst aus ihrem Schlaf hochschrecken, als es zu spät ist.
Alle diese Naturereignisse, Sinnbilder einer gesunden Ökologie, füllt Gurk mit Leben und Charakter. Hier ist seine Sprache, sein Stil poetisch, melodisch, farbig, ja manchmal melodramatisch. Ganz im Gegensatz dazu steht sein Stil bei der Beschreibung der „Grauen“: kurze, harte Sätze, Wiederholungen, eine jeglichen Ausdruck vermissen lassende Sprache, funktionell und farblos, kennzeichnen diese Abschnitte. Hier tritt Gurks Erfahrung als Verfasser expressionistischer Theaterstücke und Gedichte klar hervor. Vor allem durch diesen Stil unterscheidet sich TUZUB 37 von praktisch allen anderen damaligen und heutigen Zukunftsentwürfen.

Womit wir beim vorliegenden, eindrucksvoll-massiven Hardcover wären. Hier zeigt sich, wie toll es ist, wenn kluge Köpfe und engagierte Menschen zusammenarbeiten und einen Text die ihm gemäße Ehre erweisen. Neben einem Vorwort finden geneigte Lesende natürlich den hervorragend lektorierten Romantext von TUZUB 37 sowie zwei phantastische Erzählungen Gurks aus dessen Geschichtensammlung DIE BUNTEN SCHLEIER und ein begeisterndes Nachwort des Germanisten und Filmwissenschaftlers Emil Fadel, in dem dieser auf eine Vielzahl von Anspielungen, Parallelen und Anknüpfungspunkten zwischen Gurks visionärem Erzählen und der Gegenwarts-Science-Fiction aufmerksam macht.

Fazit: TUZUB 37 – DER MYTHOS VON DER GRAUEN MENSCHHEIT ODER VON DER ZAHL 1 ist für mich der literarisch herausragende Zukunftsentwurf des 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache. Diese vollmundige Behauptung muss aber niemand mehr „einfach so“ glauben. Die ab sofort erhältliche Neuedition lädt dazu ein, das selbst zu überprüfen – und einzutauchen in einen Mythos, der aktueller und lebendiger kaum sein könnte.

Horst Illmer

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