In Kalabrien
von Horst Illmer am 24. März 2018 Kommentare deaktiviert für In Kalabrien
Peter S. Beagle
IN KALABRIEN.
Ü: Oliver Plaschka
(In Calabria / 2017)
Stuttgart, Klett-Cotta (Hobbit Presse), 2018, 164 S.
ISBN 978-3-608-96217-8
Von Peter S. Beagle, einem der profiliertesten und beliebtesten Fantasy-Autoren der USA, erscheint bei uns in Deutschland leider nur alle „heilige Zeiten“ einmal ein Buch. Dafür kann man jedes dieser Bücher, beginnend mit HE! REBECK!, dem Erstling aus dem Jahr 1960, bis hin zum gerade in der Hobbit Presse veröffentlichten IN KALABRIEN unbesehen kaufen – es erwartet den Leser ein einzigartiger Genuss.
Beagle gehört zu den ganz großen Stilisten des Genres. Auch wenn er vielen nur durch den (verfilmten) Mega-Bestseller DAS LETZTE EINHORN (1968) bekannt ist, lohnt es sich doch immer, seinen zumeist eher leisen und auf genauesten Beobachtungen der menschlichen Eigenschaften beruhenden Geschichten zu folgen. So entwickelt IN KALABRIEN seinen Sog durch die liebenswerten und empfindsamen Beschreibungen der Protagonisten (und ihrer Haustiere), nimmt Fahrt auf durch die unerwartete Begegnung mit einem mystischen Wesen und steigert sich fulminant, bis hin zum brutalen Einbruch der modernen Welt in ein idyllisches Bauernkaff im Süden Italiens.
Die von Oliver Plaschka angenehm flüssig übersetzte Novelle zeigt den 1939 geborenen Beagle auf der Höhe seiner Erzählkunst und hinterlässt am Ende einen (kleinen) Kloß im Hals und ein Tränchen im Augenwinkel.
Horst Illmer
Peter S. Beagle
IN KALABRIEN.
Ü: Oliver Plaschka
(In Calabria / 2017)
Stuttgart, Klett-Cotta (Hobbit Presse), 2018, 164 S.
ISBN 978-3-608-96217-8
Von Peter S. Beagle, einem der profiliertesten und beliebtesten Fantasy-Autoren der USA, erscheint bei uns in Deutschland leider nur alle „heilige Zeiten“ einmal ein Buch. Dafür kann man jedes dieser Bücher, beginnend mit HE! REBECK!, dem Erstling aus dem Jahr 1960, bis hin zum gerade in der Hobbit Presse veröffentlichten IN KALABRIEN unbesehen kaufen – es erwartet den Leser ein einzigartiger Genuss.
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Helligkeit fällt vom Himmel
von Horst Illmer am 10. März 2018 Kommentare deaktiviert für Helligkeit fällt vom Himmel
James Tiptree Jr.
HELLIGKEIT FÄLLT VOM HIMMEL. Roman.
Ü: Andrea Stumpf
(Brightness Falls from the Air / 1985)
Wien, Septime, 2018, 511 S.
ISBN 978-3-902711-47-2
Eine Gefühlsmischung aus (Vor-)Freude und leiser Melancholie beschlich mich, als ich jetzt HELLIGKEIT FÄLLT VOM HIMMEL von meinem Lieblingsbuchhändler in die Hände gedrückt bekam, handelt es sich dabei doch um den letzten, bisher noch nicht auf Deutsch erschienenen Roman von James Tiptree Jr., der nun endlich (in der Übersetzung von Andrea Stumpf) vorliegt – und damit zugleich die James Tiptree-Werkausgabe bei Septime abschließt.
Sieben Bände mit Kurzgeschichten, zwei Romane, ein Band mit Artikeln und Briefen und eine umfassende Biografie sind es am Ende geworden – ein Meilenstein in der Editionsgeschichte von Genre-Literatur im deutschsprachigen Raum und schon jetzt ein unverzichtbarer Grundbestand jeder ernstzunehmenden Science-Fiction-Sammlung!
Doch zurück zum Thema: HELLIGKEIT FÄLLT VOM HIMMEL, Tiptree/Sheldons zweiter und umfangreichster Roman, ist eine Mischung aus klassischer Space Opera und Kriminalroman, angefüllt mit psychologisch stark akzentuiertem Personal und zusammengehalten von einem großartigen Gespür für das Setting.
Eine bunte Gruppe von Touristen und Naturwissenschaftlern aus allen Teilen des zukünftigen menschlichen Sternenreiches trifft auf dem Planeten Damien ein, der kurz davor ist, zum Schauplatz eines einzigartigen kosmischen Geschehens, einer sogenannten Nova-Front, zu werden. Um den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung zu verhindern, beziehen die Besucher ein von menschlichen Diplomaten bewachtes „Gästehaus“. Sie sollen dort unter sich bleiben und dann möglichst schnell wieder verschwinden. Allerdings beginnen die Dinge schon kurz nach dem Eintreffen der Nova-Front anders zu verlaufen, als geplant …
Horst Illmer
James Tiptree Jr.
HELLIGKEIT FÄLLT VOM HIMMEL. Roman.
Ü: Andrea Stumpf
(Brightness Falls from the Air / 1985)
Wien, Septime, 2018, 511 S.
ISBN 978-3-902711-47-2
Eine Gefühlsmischung aus (Vor-)Freude und leiser Melancholie beschlich mich, als ich jetzt HELLIGKEIT FÄLLT VOM HIMMEL von meinem Lieblingsbuchhändler in die Hände gedrückt bekam, handelt es sich dabei doch um den letzten, bisher noch nicht auf Deutsch erschienenen Roman von James Tiptree Jr., der nun endlich (in der Übersetzung von Andrea Stumpf) vorliegt – und damit zugleich die James Tiptree-Werkausgabe bei Septime abschließt.
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"Worte sind mein Metier"
von Horst Illmer am 30. Januar 2018 Kommentare deaktiviert für "Worte sind mein Metier"
Gedanken zum Abschied von Ursula K. Le Guin (1929 – 2018)
Es waren nicht zuletzt die Romane und Erzählungen von Ursula Le Guin, die meinen Entschluss, selbst zu schreiben, mit beförderten. Es war nicht zuletzt der Ärger über eine Verlagspolitik, die Le Guin-Bücher über Jahre hinweg als nicht mehr verkäuflich abstempelte, die mich dazu brachte, meine spärlichen Englischkenntnisse zusammenzukratzen und eine Geschichte von ihr ins Deutsche zu übersetzen. Und es war nicht zuletzt die Lektüre ihres Internet-Blogs, die mich dazu brachte, dass ich Ursula le Guin als (zwar entferntes, aber umso mehr geliebtes) Familienmitglied betrachtete.
„Words Are My Matter“ – Worte waren ihr Metier, ihre Sache, ihr Lebensmittelpunkt, ihr Vermögen, ihre Angelegenheit, ihr Streitgegenstand, ihr Ausdrucksmittel – und, falls nötig, auch der (vom Wörterbuch angebotene) Eiter, den sie wohldosiert zu verspritzen verstand.
Wie könnte man sich besser von einer Erzählerin verabschieden als mit einer Geschichte?
Im Vorwort zu einem ihrer letzten Bücher, das den vieldeutigen Titel WORDS ARE MY MATTER trägt, erzählt Ursula K. Le Guin davon, wie viel mehr Vergnügen es ihr bereitet, Prosa oder Gedichte zu lesen – im Vergleich zu Sachtexten. Sie erklärt dies ausführlich mit ihrem Wunsch, unterhalten und keinesfalls gelangweilt zu werden und damit, dass nichtfiktionale Texte zumeist viel zu abstrakt und zu wenig eingängig sind. Sie kennt dabei natürlich den Umkehrschluss: Als Autorin, die selbst Sachbücher schreibt, sind die von ihr angelegten Maßstäbe auch für sie fürchterlich schwer zu erfüllen.
Ganz anders ergeht es ihr beim Schreiben von Gedichten oder Geschichten: „Das ist ganz natürlich für mich. Ich mache es, ich will es, ich finde Erfüllung dabei, so wie ein Tänzer im Tanz oder ein Baum beim Wachsen.“
Dann folgt die Anekdote ihrer berühmt gewordenen Rede während der Verleihung der National Book Foundation Medal im November 2014. (Im Internet zu finden und unbedingt sehens- und hörenswert.) „Ich wurde im Juni darüber informiert, dass mir diese Ehrung zuteilwürde, solange ich dafür nach New York kommen und eine Dankesrede von weniger als sieben Minuten Länge halten würde. Ich akzeptierte trotz vieler Bedenken. Von Juni bis November arbeitete ich an dieser kurzen Ansprache. Selbst an einem Gedicht hatte ich noch niemals so lange und so obsessiv gefeilt, und noch nie war ich mir so unsicher, ob das was ich sagen würde, auch das Richtige wäre – und das was ich sagen sollte. Wer war ich denn, dass ich auf der Jahrestagung der Druckindustrie den versammelten Verlegern in ihre Festbowle spuckte? Nun, tatsächlich war ich die Einzige, die das tun konnte. Also tat ich’s.“
Und das alles ist jetzt vorbei. Für immer. Diese unvergleichliche Stimme wird sich niemals mehr erheben. Wir werden keine neuen Geschichten, Gedichte, ja nicht einmal mehr Preisreden, Vorworte oder Buchbesprechungen von Ursula Le Guin zu hören und zu lesen bekommen. Am 22. Januar 2018 hat die Große Bärin diesen Planeten verlassen. Sie wird uns nun beim Blick in den Sternenhimmel als Orientierung dienen – und natürlich weiterhin beim Blick in ihre Bücher.
Horst Illmer
Gedanken zum Abschied von Ursula K. Le Guin (1929 – 2018)
Es waren nicht zuletzt die Romane und Erzählungen von Ursula Le Guin, die meinen Entschluss, selbst zu schreiben, mit beförderten. Es war nicht zuletzt der Ärger über eine Verlagspolitik, die Le Guin-Bücher über Jahre hinweg als nicht mehr verkäuflich abstempelte, die mich dazu brachte, meine spärlichen Englischkenntnisse zusammenzukratzen und eine Geschichte von ihr ins Deutsche zu übersetzen. Und es war nicht zuletzt die Lektüre ihres Internet-Blogs, die mich dazu brachte,
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Vorsehung
von Horst Illmer am 29. Januar 2018 Kommentare deaktiviert für Vorsehung
Timo Kümmel
VORSEHUNG.
Stolberg, Atlantis, 2017, 60 Seiten
ISBN 978-3-86402-562-4
Ach, was waren das noch für Zeiten, damals in den 1970er und 1980er-Jahren, als praktisch jede Woche ein neuer Bildband von einem unserer Lieblings-Künstler (leider weniger oft von einer Künstlerin) erschien, in dem die „phantastische“ Kunst in all ihren Ausprägungen vorgeführt wurde. Wer erinnert sich nicht gerne an die großformatigen Prachtbände des allgegenwärtigen Roger Dean oder die Poster des einzigartigen Helmut Wenske, an die Hipgnosis-Plattencover (die oftmals die Phantasie mehr anregten als so mancher „echte“ Science-Fiction-Bucheinband) oder die unverkennbaren Titelbilder, die Karel Thole für die Science-Fiction-Reihe des Heyne Verlags schuf.
Leider sind solche Bildbände über jene Künstler, die dafür verantwortlich sind, dass Bücher, Hefte und Magazine mit utopisch-phantastischen Inhalten auch als solche erkennbar sind, ein wenig „aus der Mode“ gekommen.
Aber es gibt sie noch!
Einer jener Künstler, der mehr kann als nur „Schwert und Schild“ (= Fantasy) oder „Raumschiff vor Sternen-Hintergrund“ (= Science Fiction), ist der 1980 geborene und inzwischen in Berlin lebende Timo Kümmel, der seit mehr als zwanzig Jahren Umschlag-Bilder und Innen-Illustrationen für Fanzines, Magazine und natürlich für große und kleine Buchverlage (Atlantis, Basilisk, Piper, PS Publishing, Bastei usw.) anfertigt. Eine gelungene Auswahl seiner Werke (natürlich inklusive seiner zwei Arbeiten für die er mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet wurde) kann man sich jetzt in dem großformatigen Bildband VORSEHUNG anschauen.
Neben den fast fünfzig bereits erschienenen Umschlagbildern findet man auch einige unveröffentlichte ältere Arbeiten, eine Auswahl seiner Innenillustrationen, mehrere autobiografische Texte Kümmels – und ein speziell für VORSEHUNG erschaffenes neues doppelblattgroßes Bild.
Auch wenn Timo Kümmel noch nicht den großen internationalen Durchbruch erleben durfte, so zeigt dieses hervorragend gemachte Artbook doch, dass wir in Deutschland mindestens einen Künstler haben, der sich vor der Konkurrenz aus England, den USA oder Japan nicht zu verstecken braucht. VORSEHUNG ist ein absolutes MUSS für alle Menschen, die sehenden Auges ihre Bücher kaufen (und ein preiswerteres Vergnügen wird es im Jahr 2018 vermutlich gar nicht mehr geben!).
Horst Illmer
Timo Kümmel
VORSEHUNG.
Stolberg, Atlantis, 2017, 60 Seiten
ISBN 978-3-86402-562-4
Ach, was waren das noch für Zeiten, damals in den 1970er und 1980er-Jahren, als praktisch jede Woche ein neuer Bildband von einem unserer Lieblings-Künstler (leider weniger oft von einer Künstlerin) erschien, in dem die „phantastische“ Kunst in all ihren Ausprägungen vorgeführt wurde. Wer erinnert sich nicht gerne an die großformatigen Prachtbände des allgegenwärtigen Roger Dean oder die Poster des einzigartigen Helmut Wenske, an die Hipgnosis-Plattencover (die oftmals die Phantasie mehr anregten als so mancher „echte“ Science-Fiction-Bucheinband) oder die unverkennbaren Titelbilder,
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Memory Wall
von Horst Illmer am 3. Januar 2018 Kommentare deaktiviert für Memory Wall
Anthony Doerr
MEMORY WALL. Novelle.
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
(Memory Wall / 2010)
München, C. H. Beck, 2016, 135 Seiten
ISBN 978-3-406-68961-1
Es kommt nur alle Heilige Zeiten einmal vor, dass mich eine Leseempfehlung aus dem Radio, zum sofortigen Kauf eines Buches bewegt. Umso dankbarer bin ich dem Zufall, dass ich Ulla Müllers Besprechung von Anthony Doerrs Novelle MEMORY WALL, die bereits 2016 erschienen ist, auf Bayern 1 gehört habe.
Der Inhalt dieses schmalen Bändchens hat es in sich: Es geht ums Älterwerden, um die damit einhergehenden Demenzerscheinungen, um Verlust, um Rassenfragen, um skrupellose Sammler, um unerwartete Menschlichkeit in hoffnungslosen Situationen – und darum, wie man sein Leben weiterlebt, auch wenn das Ende absehbar ist. Die Geschichte spielt in einer nahen Zukunft in einem Vorort von Kapstadt. Dort lebt die vermögende, aber leider demente, Witwe Alma, liebevoll umsorgt von ihrem Angestellten Pheko, der sie mehrmals im Monat zu einem Arzt fährt, der aus dem „interzellulären Raum“ ihres Körpers verlorengegangene Erinnerungen gewinnt und auf Kassetten speichert. Diese Kassetten kann Alma dann zuhause ansehen und so ihre Trauer um den Verlust ihres Mannes ein wenig dämpfen.
Aber in ihren Gedächtnis-Aufzeichnungen gibt es auch eine Kassette, für die sich zwielichtige Sammler interessieren. Deshalb erhält Alma seit einigen Wochen allnächtlichen Besuch von zwei Einbrechern …
Es ist jedoch nicht diese zwischen Science Fiction und Krimi angesiedelte Handlung, die MEMORY WALL zu einem so beeindruckenden Werk macht, sondern die, von Werner Löcher-Lawrence hervorragend übersetzte, stilistische Brillanz mit der Doerr seine Protagonisten zum Leben erweckt. Die oftmals nur mit wenigen Zeilen charakterisierten Figuren stehen trotz ihrer teilweise abscheulichen Taten in all ihrer fragilen Menschlichkeit vor dem Leserauge und vermögen es, uns zu ergreifen. Auf seine Art womöglich ein Meisterwerk.
Horst Illmer
Anthony Doerr
MEMORY WALL. Novelle.
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
(Memory Wall / 2010)
München, C. H. Beck, 2016, 135 Seiten
ISBN 978-3-406-68961-1
Es kommt nur alle Heilige Zeiten einmal vor, dass mich eine Leseempfehlung aus dem Radio, zum sofortigen Kauf eines Buches bewegt. Umso dankbarer bin ich dem Zufall, dass ich Ulla Müllers Besprechung von Anthony Doerrs Novelle MEMORY WALL, die bereits 2016 erschienen ist, auf Bayern 1 gehört habe.
Der Inhalt dieses schmalen Bändchens hat es in sich: Es geht ums Älterwerden,
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Die Verbesserung unserer Träume
von Horst Illmer am 30. Dezember 2017 Kommentare deaktiviert für Die Verbesserung unserer Träume
Sebastian Guhr
DIE VERBESSERUNG UNSERER TRÄUME.
Wien, Luftschacht, 2017, 195 Seiten
ISBN 978-3903081-14-7
Traumstädte und fremde Planeten, die ein Eigenleben zu haben scheinen, sind eigentlich klassische Themen der Science Fiction. Genre-Klassiker, die einem dazu einfallen, sind unter anderem DIE ANDERE SEITE von Alfred Kubin und SOLARIS von Stanislaw Lem. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass der 1983 in Berlin geborene Germanist und Schriftsteller Sebastian Guhr bei seinem Erstlingsroman DIE VERBESSERUNG UNSERER TRÄUME an solche Vorläufer dachte. Seine Sozialisation fand wohl mehr mit den MATRIX-Filmen und den Büchern von Samuel R. Delany, Reinhard Jirgl oder Leif Randt statt.
Im 28. Jahrhundert hat die Menschheit einige ferne Planeten besiedelt, auch wenn die Lebensbedingungen nicht unbedingt optimal sind, und dort Reißbrett-Städte erbaut, die alle Bedürfnisse der Siedler erfüllen sollen. Doch wie bei utopischen Idealen üblich, sieht die Wirklichkeit immer etwas anders aus.
Die Oneiropole auf dem viele Lichtjahre von der Erde entfernten Planeten Rheit existiert seit zwei Jahrhunderten und befindet sich in einer Phase des steilen Niedergangs. Die Bewohner, gefangen in einer technisierten Traumwelt, erkennen dies fast zu spät. Kurz vor dem Zusammenbruch findet sich eine kleine Gruppe um den Wissenschaftler Aspi und seine Familie, die versucht, das Ruder noch herumzureißen. Aber der Untergang der Stadt scheint unvermeidlich …
Bei der Suche nach neuen Erzählern, die sich mit ungewöhnlichen Themen und frischen Ideen in die phantastische Literatur einbringen, bin ich über diesen Titel gestolpert. Das relativ schmale Buch bietet eine intensive und komplex-fordernde Lektüre und gehört zu den interessantesten Neuentdeckungen des Jahres 2017. Auf seine Art womöglich ein Meisterwerk.
Horst Illmer
Sebastian Guhr
DIE VERBESSERUNG UNSERER TRÄUME.
Wien, Luftschacht, 2017, 195 Seiten
ISBN 978-3903081-14-7
Traumstädte und fremde Planeten, die ein Eigenleben zu haben scheinen, sind eigentlich klassische Themen der Science Fiction. Genre-Klassiker, die einem dazu einfallen, sind unter anderem DIE ANDERE SEITE von Alfred Kubin und SOLARIS von Stanislaw Lem. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass der 1983 in Berlin geborene Germanist und Schriftsteller Sebastian Guhr bei seinem Erstlingsroman DIE VERBESSERUNG UNSERER TRÄUME an solche Vorläufer dachte.
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Das Science Fiction Jahr 2017
von Horst Illmer am 27. Dezember 2017 Kommentare deaktiviert für Das Science Fiction Jahr 2017
Michael Görden (Hrsg.)
DAS SCIENCE FICTION JAHR 2017.
München, Golkonda, 2017, 500 Seiten
Klappenbroschur
ISBN 978-3-946503-10-1
Inzwischen hat man sich schon fast daran gewöhnt, dass DAS SCIENCE FICTION JAHR nicht mehr bei Heyne, sondern im Golkonda Verlag erscheint. Gerade noch rechtzeitig vor dem Verfallsdatum ist jetzt die Ausgabe 2017 in die Buchhandlungen gekommen, herausgegeben vom neuen Verlagsleiter Michael Görden.
Wie man dem Vorwort entnehmen kann, wurde diesmal auf die Bereiche Computerspiel und Hörbuch verzichtet. Ob und in welcher Form diese wieder aufgenommen werden, entscheidet sich noch. Die verbliebenen Sparten mit den Buch-, Film- und Comic-Besprechungen sowie die Bibliografie von Christian Pree und die Listen mit Preisen und Todesfällen erreichen allerdings problemlos das gewohnt hohe Niveau.
Die Spezial-Features in dieser inzwischen schon 32. Ausgabe von DAS SCIENCE FICTION JAHR sind Interviews mit Kai Meyer und Sylvain Neuvel, sowie Artikel von Wolfgang Neuhaus (über die Strugatzki-Brüder), Lars Schmeink (über den Weltuntergang im Film), Fritz Heidorn (über NICK DER WELTRAUMFAHRER), G. M. Knauer (über mystische Ansätze im Werk von H. P. Lovecraft, Hermann Hesse, Stanislaw Lem und Frank Herbert) und Jewgeni Lukin (über die Wahrnehmung der Phantastik in Russland).
Trotz der Konzentration auf das Wesentliche bietet das Jahrbuch auch diesmal wieder 500 Seiten kompakte, komplexe Information für die echten Hardcore-Datensammler.
Horst Illmer
Michael Görden (Hrsg.)
DAS SCIENCE FICTION JAHR 2017.
München, Golkonda, 2017, 500 Seiten
Klappenbroschur
ISBN 978-3-946503-10-1
Inzwischen hat man sich schon fast daran gewöhnt, dass DAS SCIENCE FICTION JAHR nicht mehr bei Heyne, sondern im Golkonda Verlag erscheint. Gerade noch rechtzeitig vor dem Verfallsdatum ist jetzt die Ausgabe 2017 in die Buchhandlungen gekommen, herausgegeben vom neuen Verlagsleiter Michael Görden.
Wie man dem Vorwort entnehmen kann, wurde diesmal auf die Bereiche Computerspiel und Hörbuch verzichtet.
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Der lächelnde Odd
von Horst Illmer am 23. Dezember 2017 Kommentare deaktiviert für Der lächelnde Odd
Neil Gaiman
DER LÄCHELNDE ODD UND DIE REISE NACH ASGARD.
Übersetzt von Andreas Steinhöfel
Illustrationen von Chris Riddell
(Odd and the Frost Giants / 2008)
Würzburg, Arena, 2017, 125 S.
ISBN 978-3-401-60362-9
Da sieht man wieder einmal, wie viel doch die „Verpackung“ eines Buches auszumachen vermag: Als 2010 Neil Gaimans Jugendbuch DER LÄCHELNDE ODD UND DIE REISE NACH ASGARD erstmals bei Arena erschien, übernahm der Illustrator Brett Helquist die Ausstattung und das Buch ging im Einheitsbrei der üblichen Kinder- und Jugendbücher fast unter.
Das wird der Neuausgabe von 2017 sicher nicht passieren! Die vorzügliche Übersetzung von Andreas Steinhöfel wurde beibehalten, das Design jedoch signalisiert auf den ersten Blick, dass man hier ein ganz besonderes Buch in Händen hält. Die unvergleichlich viel schöneren Schwarzweiß-Bilder (mit Silber als Sonderfarbe!) sind von Chris Riddell, der inzwischen wohl einer der besten Illustratoren der Gegenwart ist. Das großformatige Hardcover ziert eine ungewöhnliche Ausstanzung des Vorderdeckels, wodurch ein Teil des Vorsatzpapiers in die Einbandgestaltung einbezogen ist.
Neil Gaimans Geschichte des jungen Außenseiters Odd, dem es gelingt, den Frostriesen zum Rückzug zu bewegen und damit dem Frühling den Weg zu bereiten, ist für sich genommen schon hohe Erzählkunst, aber in der nun vorliegenden Form ist DER LÄCHELNDE ODD UND DIE REISE NACH ASGARD zudem ein optisches und haptisches Kunstwerk!
Horst Illmer
Neil Gaiman
DER LÄCHELNDE ODD UND DIE REISE NACH ASGARD.
Übersetzt von Andreas Steinhöfel
Illustrationen von Chris Riddell
(Odd and the Frost Giants / 2008)
Würzburg, Arena, 2017, 125 S.
ISBN 978-3-401-60362-9
Da sieht man wieder einmal, wie viel doch die „Verpackung“ eines Buches auszumachen vermag: Als 2010 Neil Gaimans Jugendbuch DER LÄCHELNDE ODD UND DIE REISE NACH ASGARD erstmals bei Arena erschien, übernahm der Illustrator Brett Helquist die Ausstattung und das Buch ging im Einheitsbrei der üblichen Kinder- und Jugendbücher fast unter.
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Die Unglückseligen
von Horst Illmer am 16. Dezember 2017 Kommentare deaktiviert für Die Unglückseligen
Thea Dorn
DIE UNGLÜCKSELIGEN. Roman.
München, Knaus, 2016, 555 Seiten
ISBN 978-3-8135-0598-6 / 24,99 Euro (Hardcover)
München, Penguin Verlag, 2017, 555 Seiten
ISBN 978-3-328-10193-2 / 12,00 Euro (Taschenbuch)
„Huch! Verehrter Leser! Da sind Sie ja! Ich habe Sie gar nicht bemerkt, verzeihen Sie! Sie fassen dies Buch aber auch mit sehr spitzen Fingern an. Nun, ich kann’s Ihnen nicht verdenken.“ (S. 10)
Ganz schön frech, wie die 1970 geborene studierte Philosophin und Theaterwissenschaftlerin Thea Dorn ihr Publikum da aus ihrem Romantext heraus anspricht. Aber als preisgekrönte Autorin von Erzählungen, Romanen, Drehbüchern und Theaterstücken kennt sie halt ihre Pappenheimer, und als TV-erprobte Literaturkritikerin (Literarisches Quartett) weiß sie, dass man (nicht nur) Mäuse mit Speck fängt. Und DIE UNGLÜCKSELIGEN sind ein ordentliches Stück Bücher-Speck für anspruchsvolle Leseratten.
Eine Molekularbiologin mit Bindungsängsten, die in Amerika einen deutschen Physiker trifft, der seit über 200 Jahren tot sein sollte. Glaube und Romantik kämpfen gegen moderne Wissenschaft und kalte Logik, vermittelt durch gleichermaßen Gegenwarts-Neusprech und dem volltönenden Glockenklang barocker Wortfülle: Bei der Lektüre von Thea Dorns aktuellem Roman tut sich die gehobene Literaturkritik schon bei der richtigen Schubladen-Zuordnung schwer: Ist das nun Historischer Roman, Zeitkritik, Gothic Novel oder Science Fiction?
Mit einiger Berechtigung kann man DIE UNGLÜCKSELIGEN für jedes dieser Genres reklamieren – am Ende bleibt’s ein furioses Schelmenstück, das sich diesen Labels klug entzieht und einfach sprachverliebt drauflos fabuliert.
Durch Dorns vielstimmige Collage aus allerlei Versatzstücken der deutschen Literatur der letzten 250 Jahre zieht sich wie ein roter Faden das Faust-Motiv des ebenso ewigen wie vergeblichen Strebens nach Wissen und Unsterblichkeit. Und so gibt es neben den Frankenstein-Labor-Szenen natürlich auch Liebe und Hingabe – ebenso wie das von der Romantik geforderte offene Ende …
Horst Illmer
Thea Dorn
DIE UNGLÜCKSELIGEN. Roman.
München, Knaus, 2016, 555 Seiten
ISBN 978-3-8135-0598-6 / 24,99 Euro (Hardcover)
München, Penguin Verlag, 2017, 555 Seiten
ISBN 978-3-328-10193-2 / 12,00 Euro (Taschenbuch)
„Huch! Verehrter Leser! Da sind Sie ja! Ich habe Sie gar nicht bemerkt, verzeihen Sie! Sie fassen dies Buch aber auch mit sehr spitzen Fingern an. Nun, ich kann’s Ihnen nicht verdenken.“ (S. 10)
Ganz schön frech, wie die 1970 geborene studierte Philosophin und Theaterwissenschaftlerin Thea Dorn ihr Publikum da aus ihrem Romantext heraus anspricht.
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Qualityland
von Horst Illmer am 9. Dezember 2017 Kommentare deaktiviert für Qualityland
Marc-Uwe Kling
QUALITYLAND, Roman.
Berlin, Ullstein, 2017, 385 S.
und
Marc-Uwe Kling
QUALITYLAND, Roman.
Hörbuch, ungekürzte Lesung des Autors
Hamburg, HörbuchHamburg, 2017, 7 CDs, 500 Minuten
Mit dem größten Vergnügen kann vermeldet werden:
Die eigentlich unerreichbaren KÄNGURU-CHRONIKEN von Marc-Uwe Kling haben einen kongenialen Nachfolger bekommen!
Herzlich Willkommen in QUALITYLAND!!
Lesen auch Sie den besten, lustigsten und dystopischsten Near-Future-Roman, der je von einer künstlichen Intelligenz verfasst wurde!!!
In wenigen Jahren wird Deutschland einen Komplett-Re-Launch erleben und danach ist alles besser. Nein, nicht besser, sondern am Besten! In Qualityland, wie sich unser Staat dann bezeichnet, ist nur noch der Superlativ erlaubt. Und auch alles andere bleibt irgendwie anders: Die Kinder z. B. erhalten als Nachnamen die Berufsbezeichnung ihrer Eltern im Moment der Zeugung, was Tony Parteichef und Martyn Vorstandsvorsitzender ja noch ganz okay finden mögen, bei Peter Arbeitsloser oder Jessica Zeitarbeiterin hört der Spaß dann aber oft schon auf. Beziehungsweise fängt er genau hier – am Beginn unserer Romanhandlung – eigentlich an …
Marc-Uwe Kling ist es in seinem ersten Science-Fiction-Roman gelungen, nicht nur den Anforderungen des Genres gerecht zu werden, sondern auch den (überaus hohen) Erwartungen der KÄNGURU-Fans. Das merkt man vor allem bei den Live-Lesungen des Buches, wenn das Publikum begeistert auf die sehr geschickt eingebauten Querverweise zur KÄNGURU-Trilogie eingeht.
QUALITYLAND „funktioniert“ aber auch, wenn man Kling hier zum ersten Mal als Autor entdeckt. Mit diesem Buch hat sich der „Kleinkünstler“ (Kling über Kling) jedenfalls sofort im Olymp deutschsprachiger Dystopien eingenistet. Unterhaltsamer war unsere apokalyptische Zukunft noch nie!
Die vom Autor und seinen Verlagen gewählte, leicht Verwirrung stiftende Darreichungsform von QUALITYLAND in zwei Büchern, bzw. Hörbüchern unterschiedlicher Einbandfarbe (hell/dunkel) sei kurz „entwirrt“: Der 380 Seiten lange Romantext ist in allen Fassungen gleich, lediglich die zwischen die einzelnen Kapitel eingefügten „Nachrichten aus der Zukunft“ (zirka zwanzig, meist zwei bis drei Seiten kurze Einschübe) sind unterschiedlich.
Wer nicht den nötigen Level besitzt, um sich beide Ausgaben zulegen zu können, findet in den Büchern einen Link zum kostenlosen Nachlesen des jeweils Fehlenden im Netz. Dort https://qualityland.de/)/ gibt es auch weitere Informationen zu Lesungen von Marc-Uwe Kling und andere (mehr oder weniger) wichtige Neuigkeiten.
Horst Illmer
Marc-Uwe Kling
QUALITYLAND, Roman.
Berlin, Ullstein, 2017, 385 S.
und
Marc-Uwe Kling
QUALITYLAND, Roman.
Hörbuch, ungekürzte Lesung des Autors
Hamburg, HörbuchHamburg, 2017, 7 CDs, 500 Minuten
Mit dem größten Vergnügen kann vermeldet werden:
Die eigentlich unerreichbaren KÄNGURU-CHRONIKEN von Marc-Uwe Kling haben einen kongenialen Nachfolger bekommen!
Herzlich Willkommen in QUALITYLAND!!
Lesen auch Sie den besten, lustigsten und dystopischsten Near-Future-Roman, der je von einer künstlichen Intelligenz verfasst wurde!!!
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Alles, was wir geben mussten
von Horst Illmer am 10. Oktober 2017 Kommentare deaktiviert für Alles, was wir geben mussten
Kazuo Ishiguro
ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN. Roman.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
(Never Let Me Go / 2005)
München, Heyne, 2016, 352 S.
ISBN 978-3-453-42154-7
Bei ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN handelt sich auf den ersten Blick um eine Dreiecksgeschichte. An den Spitzen finden sich Kathy und Tommy und Ruth. Die drei wachsen zusammen auf und sie lieben sich wirklich. Deshalb erleben sie wunderschöne Zeiten zusammen und schlimme Zeiten, sie erfahren Glück und Geborgenheit und, was Menschen, die sich lieben, offenbar immer tun, sie tun sich weh. Sie leben sich auseinander und sie finden wieder zusammen, schließlich können sie einander sogar vergeben. Kathy, Tommy, Ruth – drei menschliche Wesen, drei Schicksale, drei Seelen – wissen jedoch, dass sie anders sind als andere Menschen, dass sie eben das nicht sind: Menschen!
Von Beginn an ist ihnen klar, dass sie „Spender“ sind, und sie akzeptieren das Wissen darum ohne jedes Murren oder Aufbegehren. Was sich allerdings hinter dem Begriff „Spender“ wirklich verbirgt, wie wenig sie (und wir) trotz aller Aufklärung durch die „Aufseher“ von diesem Wissen tatsächlich verstanden haben, zeigt sich erst ganz allmählich im Verlauf der Geschichte, die aus der Sicht Kathys erzählt wird. Die volle Tragik dieser Lebensgeschichten wird der Leserin, wird dem Leser jedoch tatsächlich erst auf der letzten Seite bewusst, auch wenn sie (oder er) schon lange vorher ein mulmiges Gefühl, manchmal sogar eine Gänsehaut, hat.
Kazuo Ishiguros Roman wird vielleicht eines Tages einen ähnlichen Stellenwert in der Geschichte einnehmen wie George Orwells Jahrhundertbuch 1984. Wenn es in Zukunft darum geht, welche sittlichen und moralischen Werte unsere Spezies unbedingt einzuhalten hat, um nicht selbst ihre Menschlichkeit zu verlieren, wird ein Blick in ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN als notwendig und hilfreich erscheinen.
Ein gutes Jahrzehnt ist vergangen, seit ich ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN für mich entdeckt habe. Damals war es ein Buch, das „man“ (oder „frau“) einfach gelesen haben musste, erstreckte sich die begeisterte Berichterstattung doch über alle Medien hinweg. Nach den üblichen Bestsellerehren kam dann noch eine Verfilmung – und irgendwie verschwand der Roman dann leider „in der Versenkung“.
Umso schöner, dass Kazuo Ishiguro in diesem Jahr nun (verdientermaßen) den Literaturnobelpreis erhalten hat und damit seinen erstaunlichen, großartigen, immer sehr speziellen Werken neue Leser zugeführt werden. Und da es so schön passt (auch damals war es Herbst), wünsche ich allen diesen neuen Leserinnen und Lesern, dass es ihnen so ergehen mag, wie ich es damals in einer anderen Buchbesprechung formulierte:
„Nachdem ich ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN nun in einem Zug durchgelesen habe, an einem wunderbar-nebligen Sonntag, nicht ansprechbar für die Außenwelt, aufgewühlt und gefangen von Kathys unaufgeregter Erzählung, kann ich nur einstimmen in den Chor: Ishiguro ist ohne Frage der bedeutendste Roman (nicht nur) diesen Bücherherbstes gelungen.“
Horst Illmer
Kazuo Ishiguro
ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN. Roman.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
(Never Let Me Go / 2005)
München, Heyne, 2016, 352 S.
ISBN 978-3-453-42154-7
Bei ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN handelt sich auf den ersten Blick um eine Dreiecksgeschichte. An den Spitzen finden sich Kathy und Tommy und Ruth. Die drei wachsen zusammen auf und sie lieben sich wirklich. Deshalb erleben sie wunderschöne Zeiten zusammen und schlimme Zeiten,
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Perdido Street Station
von Horst Illmer am 4. Oktober 2017 Kommentare deaktiviert für Perdido Street Station
China Miéville
PERDIDO STREET STATION.
Ü: Eva Bauche-Eppers
(PERDIDO STREET STATION / 2000)
München, Heyne, 2014, 850 S.
ISBN 978-3-453-31539-6
Mit diesem Roman wurde der englische Autor China Miéville im Jahr 2002 erstmals dem deutschen Publikum vorgestellt. Das Buch war damals in zwei Bände aufgeteilt und dann lange nicht mehr lieferbar, inzwischen kann man jedoch auf die einbändige Neuauflage bei Heyne zugreifen.
In PERDIDO STREET STATION entwirft Miéville das Bild einer Großstadt auf einer fremden Welt, bewohnt von einer Mixtur außergewöhnlicher Lebensformen, die wesentlich vielgestaltiger ist, als auf der Erde. Die Mehrheit der Bevölkerung ist menschlich, jedoch sind Mischformen, Mutationen, gentechnisch oder operativ veränderte „Remade“-Wesen und Xenoformen in reicher Anzahl vorhanden. Sie alle leben in der uralten Megalopolis New Crobuzon einigermaßen friedlich nebeneinander, verwaltet von einem korrupten Bürgermeister und „bewacht“ von einer allgegenwärtigen Miliz. Die Kultur und Technik ist vielgestaltig und enthält auch magische Elemente, die jedoch stimmig in die Geschichte eingebaut sind.
Die Klammer der Geschichte und der Auslöser der Fastkatastrophe, welche die Stadt heimsucht, ist das Streben eines seiner Schwingen beraubten Vogelmenschen, wieder fliegen zu können. Dafür sucht er einen zu allem bereiten Wissenschaftler und findet ihn in Isaac Dan dar Grimnebulin. Dessen Suche nach Lösungen des Flug-Problems setzt eine Kette von Ereignissen in Gang, die zu verfolgen uns Miéville einlädt.
Wir lernen Grimnebulins Freunde und Feinde kennen, werden in die Geheimnisse der einzelnen Spezies eingeweiht und erleben mit, wie sich die Regierung angesichts großer Probleme blamiert und völlig überzogene Gewaltorgien startet um vom eigenen Versagen abzulenken. Der Autor ist überreich mit Phantasie begabt und versprüht seine Einfälle nur so. Dabei schafft er es immer wieder Haken zu schlagen, die man selbst als erfahrener Leser nicht voraussehen kann und gestaltet so das Buch zu einer erstaunlich kurzweiligen Lektüre. Ob und wie es Isaac gelingt, das fragile Gleichgewicht vom Beginn des Romans wieder herzustellen, wird nicht verraten – für unterhaltsame Spannung ist jedenfalls reichlich gesorgt!
Natürlich fasziniert die Ideenfülle dieses Weltentwurfs. Aber wie das an den (deutschen) Leser herangetragen wird, ist das eigentlich Sensationelle!
Die Übersetzerin Eva Bauche-Eppers schafft es spielend, dass man sich ständig fragt, ob dieser Reichtum an Ausdrücken und Metaphern schon im Original stand, oder ob wir hier den Glücksfall haben, den „besseren“ Text auf Deutsch zu lesen.
Da ist zuerst einmal die Verwendung heute ungebräuchlicher Begriffe, die aber wundervoll ins Bild der Stadt passen, wie sie Miéville zeichnet: Wellenbewegungen sind „Undulationen“, Lebensmittel werden in „Viktualienständen“ verkauft und das Schmutzwasser im Hafen „suppt“ ans Kai.
Dann werden alltägliche Begebenheiten zum sprachästhetischen Genuss: „Über der Kontemplation des lunaren Uhrwerks schlummerte Isaac ein“, heißt es, wenn der Held den Mond betrachtet, oder als im Frühling der Außenbereich einer Kneipe eröffnet: „Das Glock’ und Gockel hatte sein Inneres nach außen gekehrt.“
Und bei Beschreibungen der Stadtlandschaft kommt es zu solchen Höhepunkten der Metaphernkunst: New Crobuzon, „diese aus Gebein und Stein geträumte Stadt, eine Verschwörung von Industrie und Grausamkeit, getränkt mit Vergangenheit und isolierter Macht, diese Wüste, jenseits meiner Vorstellungskraft“. Oder: Im „Luftraum kriechen Aerostats von Wolke zu Wolke wie Schnecken auf Kohlköpfen.“
Selbst Wortneuschöpfungen gelingen so, dass man auf Anhieb weiß, was gemeint ist: „Wyrmen … die fassleibig auf ledrigen Schwingen am Himmel über New Crobuzon lumpazivagabundierten.“
So geht es weiter, die ganzen 850 Seiten lang, und je näher das Ende kommt, desto unwilliger wird man, diese Welt wieder zu verlassen. Schon bei der Übertragung von Robin Hobbs ersten Romanen war Eva Bauche-Eppers für den Erfolg mitverantwortlich, hier jedoch hat sie es geschafft, von mir zur Schutzheiligen aller Übersetzer erklärt zu werden.
Horst Illmer
China Miéville
PERDIDO STREET STATION.
Ü: Eva Bauche-Eppers
(PERDIDO STREET STATION / 2000)
München, Heyne, 2014, 850 S.
ISBN 978-3-453-31539-6
Mit diesem Roman wurde der englische Autor China Miéville im Jahr 2002 erstmals dem deutschen Publikum vorgestellt. Das Buch war damals in zwei Bände aufgeteilt und dann lange nicht mehr lieferbar, inzwischen kann man jedoch auf die einbändige Neuauflage bei Heyne zugreifen.
In PERDIDO STREET STATION entwirft Miéville das Bild einer Großstadt auf einer fremden Welt,
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Beobachtungen aus der letzten Reihe
von Horst Illmer am 30. September 2017 1 Kommentar
Neil Gaiman
BEOBACHTUNGEN AUS DER LETZTEN REIHE.
Über die Kunst des Erzählens und wieso wir Geschichten brauchen.
Übersetzt von Rainer Schumacher und Ruggero Leò
(The View from the Cheap Seats. Selected Non-Fiction / 2016)
Köln, Eichborn, 2017, 576 S.
ISBN 978-3-8479-0035-1
Fast ebenso schwierig – und undankbar – wie eine Einleitung, ein Grußwort, ein Nachwort, eine Keynote-Speech, eine Dankesrede oder gar einen Nachruf auf einen lieben Kollegen zu schreiben, ist es, einen Sammelband zu besprechen, der aus solchen (mehr oder weniger) „Gelegenheitsarbeiten“ zusammengestellt ist. Allerdings gibt es da eine Ausnahme: Neil Gaiman.
Das hat viele Gründe. Einige davon sind so selbstverständlich, dass man sie fast nicht anführen mag. Zum Beispiel, dass Gaiman ein herausragender Stilist ist, dass er über Dinge schreibt, die er wirklich kennt, oder dass er immer genau weiß, wann es Zeit ist aufzuhören –und so weiter.
Weniger offensichtlich ist, dass er, egal in welche Rolle er schlüpft, immer als Neil Gaiman schreibt, das heißt er übernimmt auch die Verantwortung für seinen Text. Oder, dass er in der Lage ist, vom Kleinstdetail ins Große und Allgemeine zu abstrahieren, also dass er etwa darüber schreibt, wie es ist, während einer Filmpremiere unbeholfen über einen roten Teppich zu stolpern und dabei den ganzen Kreislauf aus Kommerz, Werbung, Filmindustrie und Celebrity-Hype zu beobachten.
Fast einhundert Texte unterschiedlichster Länge sind in BEOBACHTUNGEN AUS DER LETZTEN REIHE enthalten, sortiert in Schubladen wie „Dinge an die ich glaube“, „Leute, die ich kannte“, „Einleitungen“, „Über Filme“, „Comics und ihre Macher“, „Musik“ und ähnliches. Darin erzählt Gaiman überwiegend selbst Erlebtes und reflektiert nicht nur seine eigenen Gefühle dabei, sondern auch wie sich andere Menschen in diesen Situationen verhielten. Das geht hin bis zu sehr persönlichen Berichten aus seiner Beziehung zu Amanda Palmer oder dem Verlust von Freunden – aber auch zu den ignoranten Teilnehmern einer Veranstaltung, die seine Meinungen nicht für ernst nahmen.
Kernstück und herausragendes Ereignis des Buches ist die Rede „Make Good Art“ („Macht gute Kunst“), die Neil Gaiman 2012 während der Abschlussfeier vor Studenten der Universität in Philadelphia hielt, und die auf You Tube inzwischen mehr als 1 Millionen Aufrufe hat. Für alle, die zu wenig Englisch können, um die immer wieder von Applaus unterbrochene Rede in Gänze zu verstehen, wird diese Transkription ein emotionales Ereignis darstellen, und auch Leser mit fortgeschrittenen Sprachkenntnissen werden noch die eine oder andere Feinheit herauslesen können.
Angespornt von Gaimans Aufforderung, etwas „Gutes“ zu machen, beende ich diese Besprechung hiermit in der Hoffnung, dem Buch damit einen Dienst erwiesen und es den prospektiven Lesern soweit schmackhaft gemacht zu haben, dass sie – und vor allem Sie – einen Blick hinein wagen mögen.
Das reicht dann schon, den Rest erledigt Mr. Gaiman selbst.
Horst Illmer
Neil Gaiman
BEOBACHTUNGEN AUS DER LETZTEN REIHE.
Über die Kunst des Erzählens und wieso wir Geschichten brauchen.
Übersetzt von Rainer Schumacher und Ruggero Leò
(The View from the Cheap Seats. Selected Non-Fiction / 2016)
Köln, Eichborn, 2017, 576 S.
ISBN 978-3-8479-0035-1
Fast ebenso schwierig – und undankbar – wie eine Einleitung, ein Grußwort, ein Nachwort, eine Keynote-Speech, eine Dankesrede oder gar einen Nachruf auf einen lieben Kollegen zu schreiben,
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Green and Clean?
von Horst Illmer am 18. September 2017 Kommentare deaktiviert für Green and Clean?
Marco Behringer
GREEN AND CLEAN?
Alternative Energiequellen in Science Fiction und Utopie.
Baden-Baden, Tectum, 2017, 279 S.
ISBN 978-3-8228-3929-8
Soeben erschienen ist GREEN AND CLEAN?, Marco Behringers Doktorarbeit zum Thema „Alternative Energiequellen in Science Fiction und Utopie“. Auf diese sehr vielversprechende literaturwissenschaftlich-ethnologische Untersuchung habe ich gewartet, seit ich wusste, dass sie im Entstehen ist.
Der Ansatz, sich gezielt mit dem Thema der utopischen Energiegewinnung und -verarbeitung in Zukunftsromanen zu beschäftigen ist topaktuell und berührt ein bisher von der Forschung vernachlässigtes Feld. Behringer geht dabei multiperspektivisch vor und untersucht Quellenmaterial aus den letzten zwei Jahrhunderten, wobei er nicht nur auf Prosatexte eingeht, sondern auch Comics und Filme hinzu zieht. Die Bandbreite reicht von Jules Verne und H. G. Wells über Buck Rogers- und Mosaik-Comics bis hin zu Andreas Eschbach und den Iron Man-Verfilmungen. Neben zu erwartenden Autoren wie Hans Dominik finden sich Überraschungen wie Alfred Döblin und Paul Gurk und erfreulich viele Quellen aus der DDR. Hier wurde nicht das Altbekannte wiedergekäut, sondern intensiv und kenntnisreich geforscht.
Bereits die ausführliche Beschäftigung mit dem ungeliebten Definitionsproblem im ersten Teil zeigt, dass ein Blick aus der kulturwissenschaftlichen und ethnologischen Perspektive die seit Jahren lahmende Germanistik mit neuen Ideen ein gutes Stück weiterbringen kann. Die Folgerungen die Behringer im Folgenden aus seinen Detailbetrachtungen gewinnt, scheinen schlüssig und bieten vielfache Anregungen für eine weitere Beschäftigung mit einem Thema, das trotz der vielen hier angeführten Beispiele noch jede Menge potenzielles Material bereithält.
Wie „grün“ und „sauber“ die Phantastische Literatur wirklich ist, steht auch nach der Lektüre dieser Arbeit noch nicht endgültig fest – aber das Thema mit GREEN AND CLEAN? in den Fokus gerückt zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst von Marco Behringer.
Horst Illmer
Marco Behringer
GREEN AND CLEAN?
Alternative Energiequellen in Science Fiction und Utopie.
Baden-Baden, Tectum, 2017, 279 S.
ISBN 978-3-8228-3929-8
Soeben erschienen ist GREEN AND CLEAN?, Marco Behringers Doktorarbeit zum Thema „Alternative Energiequellen in Science Fiction und Utopie“. Auf diese sehr vielversprechende literaturwissenschaftlich-ethnologische Untersuchung habe ich gewartet, seit ich wusste, dass sie im Entstehen ist.
Der Ansatz, sich gezielt mit dem Thema der utopischen Energiegewinnung und -verarbeitung in Zukunftsromanen zu beschäftigen ist topaktuell und berührt ein bisher von der Forschung vernachlässigtes Feld.
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Brian W. Aldiss 1925 – 2017
von Horst Illmer am 1. September 2017 Kommentare deaktiviert für Brian W. Aldiss 1925 – 2017
Es gibt immer wieder so Momente, in denen ich innehalte und einen Blick zurück werfe. Jetzt gerade ist solch ein Moment. In meiner an Schätzen nicht gerade armen Bibliothek halte ich beim Buchstaben „A“ die drei HELICONIA-Bände des Bechtermünz Verlags, die ich mir vor vielen Jahren auf einer Convention von Brian W. Aldiss signieren ließ, in besonderen Ehren. Und wenn dereinst jemand meine Handbibliothek durchforstet, wird er verwundert auf die vielen hundert Korrekturen und Anmerkungen blicken, die meine Ausgabe von DER MILLIARDEN JAHRE TRAUM (Bastei) „zieren“. Wie kaum ein anderes Sekundärwerk zur Science Fiction hat mich gerade diese Genre-Geschichte, die Aldiss in Zusammenarbeit mit David Wingrove schrieb, zu Anerkennung und Widerspruch angeregt. Und das ist es wohl auch, was Brian Wilson Aldiss so einzigartig machte: Seine unverstellte Zugänglichkeit. Jedes seiner Werke vermittelt den Eindruck, dass da ein Mensch für Menschen schreibt, fast so, als ob man einen langen Brief (keine E-Mail!) von einem guten alten Bekannten liest. Obwohl seit vielen Jahren nichts Neues mehr von ihm in Deutschland erschienen ist (nur die Edition Phantasia hält noch einen Titel lieferbar), war er für mich doch immer irgendwie präsent. Am 19. August 2017, genau einen Tag nach seinem 92. Geburtstag, verstarb Brian Aldiss in seinem Haus in Oxford – und ich hoffe, er konnte von seinen Freunden und Verwandten noch einmal so richtig gefeiert werden und von allen Abschied nehmen.
Ergänzung von Gerd: Für alle, die sich für das Werk von Aldiss interessieren sei angemerkt, dass derzeit leider außer dem Titel "Terror" (Edition Phantasia) kein einziger Band in deutscher Sprache lieferbar ist. Trotzdem lohnt sich die Rezi zu "Heliconia" auf Temporamores im aktuellen Newsletter.
Es gibt immer wieder so Momente, in denen ich innehalte und einen Blick zurück werfe. Jetzt gerade ist solch ein Moment. In meiner an Schätzen nicht gerade armen Bibliothek halte ich beim Buchstaben „A“ die drei HELICONIA-Bände des Bechtermünz Verlags, die ich mir vor vielen Jahren auf einer Convention von Brian W. Aldiss signieren ließ, in besonderen Ehren. Und wenn dereinst jemand meine Handbibliothek durchforstet, wird er verwundert auf die vielen hundert Korrekturen und Anmerkungen blicken, die meine Ausgabe von DER MILLIARDEN JAHRE TRAUM (Bastei) „zieren“.
Herr aller Dinge
von Horst Illmer am 31. August 2017 Kommentare deaktiviert für Herr aller Dinge
Andreas Eschbach
HERR ALLER DINGE. Roman.
Köln, Bastei Lübbe, 2011, 688 S.
Gelesen von Matthias Koeberlin
ISBN 978-3-7857-2429-3 (Hardcover)
ISBN 978-3-404-16833-0 (Taschenbuch) 2013, 700 S.
ISBN 978-3-7857-4515-1 (Hörbuch)
Irgendwo in Tokio. Ein Garten mit einer Schaukel. Zwei Kinder, die trotz aller Unterschiede Freunde geworden sind. Der Junge, Hiroshi, ist der Sohn einer japanischen Putzfrau, das Mädchen, Charlotte, ist die Tochter des französischen Botschafters in Japan. Während sie gemeinsam schaukeln, träumen sie von der Zukunft – und während Charlotte, unsicher und zögernd, diese auf sich zukommen lassen will, hat Hiroshi ein Ziel: Er möchte alle Menschen reich machen.
Dreißig Jahre später. Charlotte sitzt in Buenos Aires in ihrem Garten und bekommt unerwarteten Besuch. Ein Beamter der US-Regierung bringt ihr einen Abschiedsbrief von Hiroshi und einen Dolch, wie ihn Japaner für ihren rituellen Selbstmord benutzen.
Zwischen diesen beiden Eckpunkten des Romans erzählt Andreas Eschbach eine ausgefallene, ausgefeilte und außergewöhnliche Geschichte über die (Un-)Möglichkeit eine Vision zu verwirklichen: die Vision einer utopischen Welt, in der alle Menschen gleich sind.
Hiroshi ist ein Genie und was er sich in den Kopf gesetzt hat, erreicht er auch. Als er allerdings sein letztes – oder besser, sein erstes – Ziel in Reichweite sieht, muss auch er sich fragen (so wie alle Utopien frag-würdig sind), ob er der Menschheit seine Sicht der „Dinge“ – über die er inzwischen der „Herr“ ist – aufzwängen darf.
Seine Entscheidung wird nicht zuletzt durch die komplexe und komplizierte Beziehung zu Charlotte bestimmt, die als Zeugin seiner ersten Eingebung dabei war und als, nicht ganz so geheimes, Objekt seiner Begierde immer wieder Einfluss auf seine Arbeit hat. Am Ende bleibt ihm nur noch die Wahl, ob er ein Monster wird oder ob er der Hiroshi bleibt, den Charlotte einst liebte?
Wenn wir Charlotte am Ende des Buches verlassen, überlegt sie, mit einem traurigen Lächeln, ob sie diese unglaubliche Geschichte nicht vielleicht aufschreiben sollte …
Ich habe diesen Roman einige Jahre liegen gelassen – ohne dafür einen wirklichen Grund zu haben – und bin erst jetzt, durch einen glücklichen Zufall, dazu gekommen, das Hörbuch zu genießen. Und nicht nur, dass es ein echter Genuss war, nein, ich habe mich auch ein wenig geärgert, dass mir ausgerechnet dieser tolle Science-Fiction-Titel solange entgangen ist. Andreas Eschbach hat mich noch nie enttäuscht, aber einige seiner Bücher haben mich echt begeistert – und andere fand ich „nur“ gut. HERR ALLER DINGE gehört in die erste Kategorie.
Horst Illmer
Andreas Eschbach
HERR ALLER DINGE. Roman.
Köln, Bastei Lübbe, 2011, 688 S.
Gelesen von Matthias Koeberlin
ISBN 978-3-7857-2429-3 (Hardcover)
ISBN 978-3-404-16833-0 (Taschenbuch) 2013, 700 S.
ISBN 978-3-7857-4515-1 (Hörbuch)
Irgendwo in Tokio. Ein Garten mit einer Schaukel. Zwei Kinder, die trotz aller Unterschiede Freunde geworden sind. Der Junge, Hiroshi, ist der Sohn einer japanischen Putzfrau, das Mädchen, Charlotte, ist die Tochter des französischen Botschafters in Japan. Während sie gemeinsam schaukeln,
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Koryphäen
von Horst Illmer am 7. Juli 2017 Kommentare deaktiviert für Koryphäen
Gudrun Büchler
KORYPHÄEN. Roman.
Wien, Septime, 2017, 185 S.
ISBN 978-3-902711-60-1
Dass der magische Realismus nicht nur in den tropischen Breiten Südamerikas zuhause ist, sondern auch in der eher kühlen und von der Eiszeit geformten Bergwelt Österreichs, mag überraschen, macht das von Gudrun Büchler entworfene Near-Future-Szenario in ihrem Anfang des Jahres erschienen Roman KORYPHÄEN (Septime, ISBN 978-3-902711-60-1, Hardcover) aber umso interessanter. Vor allem, weil man fast die gesamten 180 Seiten der Geschichte hindurch auf der Suche ist, nach den festen Bezugspunkten und den klaren Fakten, die man von einem deutschsprachigen Roman erst einmal erwartet. Diese Lesererwartungen gerade nicht zu bedienen, dafür durch a-synchrones Erzählen und stimmungsvolles Setting die Spannung gleichzeitig hoch zu halten und dabei auch noch, so ganz still und heimlich, eine bedenkenswerte Science-Fiction-Idee unters Volk zu bringen, gehört zu den großen Leistungen der 1967 in Mödling bei Wien geborenen Autorin.
Es wäre unfair, diese gelungene Stil-Komposition durch schlichtes Nacherzählen des Plots zu unterlaufen, deshalb an dieser Stelle nur so viel wie man dem Klappentext sowieso entnehmen kann: Zwei Männer, Hausman und Curt, bilden die zwei Pole in einem globalen Wettlauf um die IT- und DNA-Profile der ganzen Menschheit – und obwohl Großkonzerne und Geheimdienste auf der einen Seite weder Kosten noch Mühen scheuen, damit Curt für sie die „Schäfchen ins Trockene bringt“, hat die andere Seite in Hausman und seinen körperlosen Verbündeten eine sehr entschlossene Truppe, die den Widerstand noch lange nicht aufgibt.
Büchlers Roman fordert von seinen Lesern einen langen Atem und einen großen Vertrauensvorschuss, wer sich jedoch darauf einlässt, wird mit einer der außergewöhnlichsten phantastischen Erzählungen der letzten Jahre belohnt.
Horst Illmer
Gudrun Büchler
KORYPHÄEN. Roman.
Wien, Septime, 2017, 185 S.
ISBN 978-3-902711-60-1
Dass der magische Realismus nicht nur in den tropischen Breiten Südamerikas zuhause ist, sondern auch in der eher kühlen und von der Eiszeit geformten Bergwelt Österreichs, mag überraschen, macht das von Gudrun Büchler entworfene Near-Future-Szenario in ihrem Anfang des Jahres erschienen Roman KORYPHÄEN (Septime, ISBN 978-3-902711-60-1, Hardcover) aber umso interessanter. Vor allem, weil man fast die gesamten 180 Seiten der Geschichte hindurch auf der Suche ist,
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Spuk! Dunkle Geschichten
von Horst Illmer am 12. Juni 2017 Kommentare deaktiviert für Spuk! Dunkle Geschichten
Markus K. Korb
SPUK! Dunkle Geschichten.
Vorwort von Constantin Dupien
Illustriert von Bastian Wechsung, Björn Craig, Kim Davey und Peter Davey
Traunstein, Amrûn, 2017, 286 S.
ISBN 978-3-95869-563-4
Zwischen all dem „extreme“ und „hardcore“, den der Zeitgeist glaubt, einer Horrorgeschichte anhängen zu müssen, gibt es zumindest einen deutschen Autor, der, ungeachtet der angloamerikanischen Konkurrenz, einfach nur „klassische“ phantastische Geschichten erzählen will. Seit vielen Jahren steht der Name Markus K. Korb für gute, unterhaltsam geschriebene Stories, in denen er das ganze Spektrum der Phantastik ausleuchtet, ohne dem vorgenannten Zeitgeist zu huldigen. Dafür stehen seine „dunklen Geschichten“, wie er in seinem neuesten Buch SPUK! erneut beweist, in der Tradition von E. A. Poe, E. T. A. Hoffmann, Mary W. Shelley und H. P. Lovecraft.
Auf seine spitzbübisch-originelle Weise gelingt es Korb allerdings immer, nicht als Epigone zu erscheinen, sondern durch Lokalkolorit, genaue Recherche und unverbrauchte Ideen etwas Eigenes zu erschaffen – und wie bei jeder guten Gespenstergeschichte wird der Leser die Geister, die der Autor rief, nicht mehr los.
Meine Lieblingserzählung „Gespenstersommer 1816“ ist wieder eine „Umschreibung“ der Literaturgeschichte (wie sie bei Korb öfter vorkommt). Diesmal geht es um kürzlich aufgefundene Tagebücher einer englischen Reisegesellschaft, die seit zweihundert Jahren auf dem Grund des Genfer Sees ruhten, und die der „Experte auf dem Gebiet der Schwarzen Romantik“ Markus K. Korb für die Schweizer Polizei begutachten soll. Wer da nicht sofort an Lord Byron, die Shelleys und ihre Begleiter denkt, gehört als SPUK!-Geschichten-Leser vielleicht eh nicht zum Zielpublikum – alle anderen werden jedenfalls viel Freude an dieser Story haben.
SPUK! enthält auf seinen 286 Seiten 16 mit Illustrationen versehene Original-Geschichten unterschiedlichster Länge, deren Gänsehaut-Potential allemal ausreichend ist, um diese Sammlung allen Freundinnen und Freunden der gepflegten Horrorstory ans Herz zu legen.
Horst Illmer
Markus K. Korb
SPUK! Dunkle Geschichten.
Vorwort von Constantin Dupien
Illustriert von Bastian Wechsung, Björn Craig, Kim Davey und Peter Davey
Traunstein, Amrûn, 2017, 286 S.
ISBN 978-3-95869-563-4
Zwischen all dem „extreme“ und „hardcore“, den der Zeitgeist glaubt, einer Horrorgeschichte anhängen zu müssen, gibt es zumindest einen deutschen Autor, der, ungeachtet der angloamerikanischen Konkurrenz, einfach nur „klassische“ phantastische Geschichten erzählen will. Seit vielen Jahren steht der Name Markus K. Korb für gute, unterhaltsam geschriebene Stories,
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Die Republik der Frauen
von Horst Illmer am 30. Mai 2017 Kommentare deaktiviert für Die Republik der Frauen
Gioconda Belli
DIE REPUBLIK DER FRAUEN. Roman.
Aus dem nicaraguanischen Spanisch von Lutz Kliche
(El pais de las mujeres / 2010)
München, Droemer, 2015, 304 S.
ISBN 978-3-426-30411-2
Na endlich! Nach all den griesgrämigen, typisch männlich-klagend vorgetragenen Weltuntergangsprophezeiungen, den trauerklößigen Beschreibungen einer zukünftigen Gesellschaft, in der wir alle nur noch Zahlen, Nummern und virtuelle Idiotinnen wären, gibt es zu guter Letzt wieder Hoffnung!
Gioconda Belli, nicaraguanische Sandinista und feministische Schriftstellerin der Extraklasse, hat eine Utopie vorgelegt, die allen Ansprüchen genügt, die man an ein solches Unterfangen stellen kann: Es gibt einen isolierten Lebensraum, eine politische Elite, ein Programm, dessen Umsetzung einen neuen Menschen und eine neue Gesellschaftsform hervorgebracht hat – und eine Erzählung, die uns dies alles mit atemloser Spannung nachzuvollziehen hilft.
Die Handlung spielt in dem – mehr oder weniger – fiktiven lateinamerikanischen Land Faguas, in dem seit kurzem die nur aus Frauen bestehende »Partei der Erotischen Linken« regiert, deren »demokratische Erneuerung« zuallererst ausschließlich Frauen in alle wichtigen Positionen befördert hat. Nachdem ein Attentäter die Präsidentin Viviana Sansón niedergeschossen hat, erlebt Faguas eine kurze, chaotische Zeit der Ungewissheit – eine Zeit, in der die Umstände rekapituliert werden können, die zum lange fälligen »Sieg« der Frauen führten.
Belli zeigt die Entwicklung und Ausführung ihres utopischen Gesellschaftsentwurfs in geschickt aufgeteilten Rückblenden und Erinnerungen sowohl der komatösen Präsidentin wie ihrer Weggefährtinnen, während gleichzeitig die Fahndung nach dem Attentäter und seinen Hintermännern und die Klärung der politischen Fragen, die dieses Attentat aufwirft, die Handlung vorantreiben. Dabei zeichnet die Autorin aus »Historischen Dokumenten«, E-Mails, Blog-Einträgen, Leitartikeln und Interviews mit dem »einfachen Mann aus dem Volke« einen buntgefärbten Hintergrund auf, der die Aktionen und Reaktionen ihrer Heldinnen logisch und glaubwürdig wirken lässt.
Dass die Frauen in Bellis »Die Republik der Frauen« nicht alleine stehen mit ihrer Begeisterung für diese »neue« Gesellschaftsform, sondern dass auch einige (und gar nicht so wenige) Männer Gefallen an dieser so völlig anderen Art von Politik finden – das macht den besonderen Reiz dieser außerordentlichen Utopie aus.
Horst Illmer
Gioconda Belli
DIE REPUBLIK DER FRAUEN. Roman.
Aus dem nicaraguanischen Spanisch von Lutz Kliche
(El pais de las mujeres / 2010)
München, Droemer, 2015, 304 S.
ISBN 978-3-426-30411-2
Na endlich! Nach all den griesgrämigen, typisch männlich-klagend vorgetragenen Weltuntergangsprophezeiungen, den trauerklößigen Beschreibungen einer zukünftigen Gesellschaft, in der wir alle nur noch Zahlen, Nummern und virtuelle Idiotinnen wären, gibt es zu guter Letzt wieder Hoffnung!
Gioconda Belli, nicaraguanische Sandinista und feministische Schriftstellerin der Extraklasse,
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Replay
von Horst Illmer am 25. Mai 2017 Kommentare deaktiviert für Replay
Benjamin Stein
REPLAY. Roman.
München, DTV, 2015, 176 S.
ISBN 978-3-423-14396-7
Ein Mann erwacht nach einer unruhigen Nacht allein in seinem Bett und denkt zurück – nicht nur an die vergangenen Stunden, sondern auch an seine Kindheit und Jugend, seine Studienjahre und die ersten Erfahrungen im Berufsleben. Das ist zuerst einmal nichts Ungewöhnliches, bis zu dem Moment, an dem Pan ins Spiel kommt, und das Silicon Valley, und die Entwicklung von bio-elektrischen Implantaten, die ein Gehirn mit einem Computer vernetzen.
Und schon steckt man mittendrinn in Benjamin Steins Roman REPLAY und in Ed Rosens Gedankenwelt und in einem zukünftigen Amerika, in dem sich viele unserer heutigen Wünsche und Vorstellungen erfüllt haben. Aber zu welchem Preis?
Ed Rosen wird nach seinem Biologie-Studium Leiter einer Forschungsabteilung in Matanas Firma. Gemeinsam entwickeln sie einen funktionsfähigen Biochip, ein Implantat, das Daten aus dem Gehirn nach außen transferiert, wo man sie ansehen und abspeichern kann – und bei Bedarf wieder einzuspeisen vermag.
Rosen stellt sich als erstes Versuchsobjekt zur Verfügung und die Ergebnisse übertreffen alle Erwartungen. Innerhalb kürzester Zeit wird das »UniCom« für die meisten US-Bürger zu einem ebenso unverzichtbaren Teil ihres Lebens wie es heute das Mobiltelefon bzw. das Internet schon sind. Da das an den Schläfen eingepflanzte Gerät gleichzeitig Telefon, Fernseher, Cloud-Computer, Netzkomponente und persönlicher Assistent ist, können dessen Träger auf die Dienste herkömmlicher Anbieter verzichten und sich kostenlos der weltweiten Gemeinschaft der »Neubürger« anschließen.
Allerdings ist es das eigentliche »Alleinstellungsmerkmal« des UniCom – seine Fähigkeit, Erinnerungen an die schönsten, glücklichsten, geilsten Momente im Leben seines Nutzers zu speichern und auf Wunsch erneut (und immer wieder) lebensecht abzuspielen und die dabei empfundenen Glücksgefühle zu reproduzieren –, das aus der United Communications Corporation(UCC) in nur fünfzehn Jahren den größten Konzern der Welt macht. Denn das »driften« genannte Eintauchen in die Welt der eigenen Sexualität hat ein so großes und unmittelbares Suchtpotenzial, dass sich ihm nur sehr Wenige entziehen können.
Einer von ihnen ist der gereifte und »bekehrte« Julian Assange, dessen Forderungen nach mehr Kontrollmöglichkeiten und Mitspracherechten für die Verbraucher sowie seine Warnungen vor den Gefahren eines totalitären Überwachungsstaates zwar noch über die Nachrichtennetzwerke verbreitet werden – allerdings bei den Angesprochenen auf die sprichwörtlich »tauben Ohren« stoßen. Selbst Ed Rosen, der es als Mitinhaber der UCC eigentlich besser wissen müsste, findet keinen Gefallen mehr daran, mittels seiner »Switchbox« das UniCom auszuschalten – oder ist auch dieser »Aus«-Schalter nur eine Illusion?
Benjamin Stein ist mit REPLAY ein glänzend geschriebenes Buch gelungen, das unaufgeregt und kenntnisreich die Möglichkeiten und Gefahren unserer digitalen Zukunft beschreibt und dabei den anti-utopischen Geist George Orwells und die psychologischen Schreckensvorstellungen Guillermo del Torros mit den erotischen Versprechen Anaïs Nins und den exakten Cyberweltentwürfen William Gibsons zusammenführt. Ein Buch zum Genießen – und zur Warnung!
Horst Illmer
Benjamin Stein
REPLAY. Roman.
München, DTV, 2015, 176 S.
ISBN 978-3-423-14396-7
Ein Mann erwacht nach einer unruhigen Nacht allein in seinem Bett und denkt zurück – nicht nur an die vergangenen Stunden, sondern auch an seine Kindheit und Jugend, seine Studienjahre und die ersten Erfahrungen im Berufsleben. Das ist zuerst einmal nichts Ungewöhnliches, bis zu dem Moment, an dem Pan ins Spiel kommt, und das Silicon Valley, und die Entwicklung von bio-elektrischen Implantaten, die ein Gehirn mit einem Computer vernetzen.
- Kategorie: Bücher , Horsts Bibliothek , Rezis , Science Fiction
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NEXT – Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns
von Horst Illmer am 2. Mai 2017 Kommentare deaktiviert für NEXT – Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns
Miriam Meckel
NEXT – Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns.
Reinbek, Rowohlt, 2013, 316 S.
ISBN 978-3-499-62836-8
Nachdem Kopernikus uns aus dem Zentrum des Universums gekegelt, Darwin uns zu Affenkindern gemacht und Freud uns zu Gästen im eigenen Kopf erklärt hat, »erinnert« Miriam Meckel uns (d. h. in diesem Fall die Menschen der Gegenwart, die noch in ihren Körpern feststecken) in NEXT daran, dass wir kurz davor sind, gerade diese, unsere Körperlichkeit, aufzugeben – zugunsten einer immateriell-digitalen Netz-Existenz.
Und im Gegensatz zu den erstgenannten narzisstischen Kränkungen, streben wir diesen Übergang in körperlose Software freiwillig und ohne Zwang an.
Meckels Buch, eine Mischung aus Science-Fiction-Story und Sachtext, erzählt in zwei Abschnitten die Geschichte dieses Übergangs – einmal als »Erinnerung eines ersten humanoiden Algorithmus« und danach als »Erinnerungen eines letzten Menschen«.
Miriam Meckel hat intensiv recherchiert, bevor sie ihre düstere Version der »schönen, neuen Welt« aufgeschrieben hat. Alle in die Zukunft weitergedachten Entwicklungen sind heute bereits möglich oder zumindest in der Vorbereitung: neben dem immer unverzichtbarer werdenden Internet und den immer größere Massen anziehenden »Social Networks« gehören auch die in den Körper implantierten Chips bei Behinderten und die Verlagerung aller Daten in eine anonyme »Cloud« hierher.
Der nächste Schritt, die allgemeine Überwachung aller Datenströme und die damit einhergehende Unmöglichkeit irgendwelche Daten zu löschen, steht dicht bevor, dann der übernächste – und dann, upps, schon passiert!
Meckels NEXT ist eine klassische Warn-Utopie, die jedoch nur wenig Hoffnung lässt, dass wir das Rad nochmal herumreißen könnten. Zu gerne hat der Mensch sein »Spielzeug«, zu sehr ist er abhängig vom derzeit bereits Erreichten – und, auch das macht Miriam Meckel in ihrem Text unzweifelhaft klar, zu groß ist seine Fähigkeit zum Selbstbetrug.
Es scheint also tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis sich erste Künstliche Intelligenzen entwickeln, bis die ersten Menschen anfangen ihre »Körperzeit« in »Systemzeit« umrechnen zu lassen – bis wir in der »besten aller Netzwelten« (S. 261) angekommen sind.
Sind wir wirklich bereits auf dem besten Weg »die Dinosaurier des analogen Zeitalters« (S. 95) zu werden? So, what’s NEXT?
Horst Illmer
Miriam Meckel
NEXT – Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns.
Reinbek, Rowohlt, 2013, 316 S.
ISBN 978-3-499-62836-8
Nachdem Kopernikus uns aus dem Zentrum des Universums gekegelt, Darwin uns zu Affenkindern gemacht und Freud uns zu Gästen im eigenen Kopf erklärt hat, »erinnert« Miriam Meckel uns (d. h. in diesem Fall die Menschen der Gegenwart, die noch in ihren Körpern feststecken) in NEXT daran, dass wir kurz davor sind, gerade diese, unsere Körperlichkeit, aufzugeben – zugunsten einer immateriell-digitalen Netz-Existenz.
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Starters / Enders
von Horst Illmer am 25. April 2017 Kommentare deaktiviert für Starters / Enders
Lissa Price
STARTERS / ENDERS. 2 Romane in einem Band.
Aus dem Amerikanischen von Birgit Ress-Bohusch
(Starters / 2012 & Enders / 2014)
München, Piper, 2015, 752 S.
ISBN 978-3-492-28008-2
Die 16-jährige Callie ist eigentlich das typische »All-American-Girl«, das nette Mädchen von Nebenan, und sie sollte eigentlich auch keine anderen Probleme haben als mit ihren Freundinnen auf Partys oder zum Shoppen zu gehen und sich mit ihrem kleinen Bruder darum zu streiten, wer den Müll rausträgt. Aber leider ist für Callie alles ganz anders …
In einer nicht allzu fernen Zukunft werden die Vereinigten Staaten das Opfer eines kriegerischen Erstschlages, der mittels biologischer Waffen geführt wird. Ein tödlicher Virus breitet sich unaufhaltsam aus. Gerade noch rechtzeitig wird ein Gegenmittel entdeckt, doch der Impfstoff reicht nicht für alle. Deshalb werden Kinder und Alte zuerst versorgt. Tja, und dann ist es auch schon vorbei – die mittleren Generationen sind ausgestorben.
Callie und Tyler leben in einer Nachkatastrophenwelt, die in »Starters« und »Enders« unterteilt ist. Da es aufgrund der Alterspyramide weit mehr alte als junge Menschen gibt, die zudem über weit mehr Lebenserfahrung verfügen, ist es kein Wunder, dass die Enders sehr schnell dafür gesorgt haben, dass alle Macht in ihren Händen liegt. Per Gesetz sind Starters praktisch rechtlos und auf die Vormundschaft eines Enders angewiesen. Sonst kommen sie in ein Heim und werden zu Zwangsarbeiten herangezogen.
Um diesem Schicksal zu entgehen, fliehen viele Kinder und Jugendliche in den Untergrund. Auch Callie ist mit ihrem Bruder auf der Flucht. Da Tyler jedoch dringend ärztliche Hilfe bräuchte, überwindet Callie ihre Angst und ihren Widerwillen und schließt mit einer Body Bank einen »Leih-Vertrag«.
Sie bekommt eine sehr große Summe Geld dafür, dass sie ihren Körper an eine oder mehrere Enders »verleiht«. Dies geschieht mittels eines implantierten Neuro-Chips, der dafür sorgt, dass Callies Bewusstsein während der geistigen Übernahme durch eine andere Person »schläft«. Nach der vereinbarten Zeit, in der die (natürlich ältere) Mieterin mit dem jugendlichen Körper ein wenig Spaß hatte, erwacht das Originalbewusstsein wieder – allerdings ohne jede Erinnerung an die verstrichene Zeit.
Zu ihrem Leidwesen muss Callie schmerzhaft erfahren, dass bei einer solchen Übernahme einiges furchtbar schief gehen kann …
STARTERS / ENDERS ist das Debüt der amerikanischen Drehbuchautorin Lissa Price und enthält alles, was das Herz einer jungen Leserin höher schlagen lässt: Liebe, Drama, Familie, Freundschaft, sogar Pferde tauchen einmal kurz auf. Doch durch das Versetzen ihrer Heldin in eine post-katastrophale Welt und das geschickte Vermitteln der damit einhergehenden traumatischen Veränderungen gelingt es Price, aus Callies Geschichte weit mehr zu machen als nur noch einen weiteren »All-Age«-Schmöker.
Die Story ist fesselnd und abwechslungsreich geschrieben und die verwirrenden Eindrücke, die sich für die Protagonistin in vielen Situationen ergeben, werden glaubwürdig durchgehalten. Callie ist eine wunderbare Identifikationsfigur (vor allem) für jugendliche LeserInnen – und das Buch ist ein bereits heute funktionierendes »Vehikel«, auch ohne Neuro-Chip an Callies Abenteuern teilhaben zu können.
Horst Illmer
Lissa Price
STARTERS / ENDERS. 2 Romane in einem Band.
Aus dem Amerikanischen von Birgit Ress-Bohusch
(Starters / 2012 & Enders / 2014)
München, Piper, 2015, 752 S.
ISBN 978-3-492-28008-2
Die 16-jährige Callie ist eigentlich das typische »All-American-Girl«, das nette Mädchen von Nebenan, und sie sollte eigentlich auch keine anderen Probleme haben als mit ihren Freundinnen auf Partys oder zum Shoppen zu gehen und sich mit ihrem kleinen Bruder darum zu streiten, wer den Müll rausträgt.
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Verlorene Paradise
von Horst Illmer am 18. April 2017 Kommentare deaktiviert für Verlorene Paradise
Hörbücher sind auf dem Vormarsch – und das schon seit Jahren. Trotzdem gibt es von einigen der besten SF-SchriftstellerInnen überhaupt keine deutschsprachigen Hörbücher. Zumindest bei Ursula K. Le Guin ist dies jetzt anders: Ab sofort gibt es eine vollständige Lesung ihres 2014 bei Atlantis erschienen Romans VERLORENE PARADIESE (ISBN 978-3-936438-83-3, 1 mp3-CD, 286 Minuten), vorgelesen von Lisa Koenen und veröffentlicht im Mannheimer MetaGIS Hörbuchverlag. Gestaltet wurde die Edition von Maran Alsdorf unter Verwendung ihres Buchumschlags, die Übersetzung stammt von Horst Illmer, Regie führte Matthias Werner. Der angehenden Schauspielerin Lisa Koenen gelingt das Kunststück, ihre helle, begeisterungsfähige Stimme im Verlauf der Erzählung dem jeweiligen Alter der Protagonisten anzupassen, sodass aus der kindlich-naiven Hsing, die neugierig alles und jeden hinterfragt, am Ende eine reife, sich um ihre Familie sorgende Frau spricht. Und es ist keine Kleinigkeit, dass es ihr zudem gelingt, die Stimmen der anderen Haupt- und Nebenpersonen in VERLORENE PARADIESE ebenfalls wiedererkennbar zu sprechen. Als Zugabe zum Romantext wurde auch das Nachwort von Horst Illmer vertont, in dem dieser den utopischen Ansatz dieser meisterhaften Science-Fiction-Geschichte um die Bewohner/Besatzung des Generationen-Raumschiffs Discovery nachverfolgt. Wer es also immer noch nicht geschafft hat, das Buch (ein zweites Mal) zu lesen, kann es sich jetzt genussvoll akustisch „reinziehen“.
Horst Illmer
Hörbücher sind auf dem Vormarsch – und das schon seit Jahren. Trotzdem gibt es von einigen der besten SF-SchriftstellerInnen überhaupt keine deutschsprachigen Hörbücher. Zumindest bei Ursula K. Le Guin ist dies jetzt anders: Ab sofort gibt es eine vollständige Lesung ihres 2014 bei Atlantis erschienen Romans VERLORENE PARADIESE (ISBN 978-3-936438-83-3, 1 mp3-CD, 286 Minuten), vorgelesen von Lisa Koenen und veröffentlicht im Mannheimer MetaGIS Hörbuchverlag. Gestaltet wurde die Edition von Maran Alsdorf unter Verwendung ihres Buchumschlags, die Übersetzung stammt von Horst Illmer,
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Das Imperium
von Horst Illmer am 25. März 2017 Kommentare deaktiviert für Das Imperium
Ann Leckie
DAS IMPERIUM. Ein Roman aus der fernen Zukunft.
Ü: Bernhard Kempen
(Ancillery Mercy /2015)
München, Heyne, 2017, 448 S.
ISBN 978-3-453-31726-0
„Verstehen Sie wirklich nicht, was Sie getan haben?“
Diese fassungslos gestellte Frage der Imperatorin der Radchaai an die Flottenkapitänin/Hilfseinheit Breq bildet den Höhepunkt und Abschluss der „Ancillery“-Trilogie von Ann Leckie. Wobei sich alle anderen bei dieser Unterredung Anwesenden vermutlich die gleiche Frage stellen – und auch Breq selbst wohl eher ihrem Improvisationstalent vertraut, als eine klare Vorstellung davon zu haben, was passiert, wenn Künstliche Intelligenzen (KIs), wie von ihr gefordert, als „signifikante Lebewesen“ anerkannt werden. Denn darauf läuft es letztlich hinaus, als sie der Botschafterin der den Menschen weit überlegenen Alienrasse der Presger mitteilt, dass die Menschen eben nicht die einzige intelligente Lebensform sind, die das Reich der Radchaai bewohnen.
Schuld an diesem „interessanten“ Konflikt (so die Presger-Übersetzerin Zeiat) ist die Imperatorin Anaander jedoch selbst. Immerhin bekämpft sie nicht nur sich selbst (in ihren vielen hundert Klon-Varianten), sondern lässt auch zu, dass ihr Hass auf Breq so übermächtig wird, dass sie dem letzten Überbleibsel ihres ehemaligen Raumschiffs ins Athoek-System folgt und dort wütend und wahllos Schaden anrichtet.
Als es schließlich zum finalen Treffen zwischen Anaander und Breq auf der Athoek-Station kommt, entwickelt sich das Geschehen jedoch ganz anders, als von beiden vorhergeplant …
Auch der Abschlussband dieser Trilogie liest sich wieder auf wunderbare Weise gleichzeitig spannend und total entspannend. Selten (oder vielleicht bisher gar nicht) wurden weltbewegende und imperiumsstürzende Raumschlachten, politische Attentate, geheime Intrigen und ethische Fragen darüber, was es bedeutet „menschlich“ zu sein, mit einer solchen unaufgeregten Brillanz erzählt. Sicherlich ist einer der Hauptgründe dafür die durchgängig weibliche Sichtweise auf das Geschehen und die dadurch erfolgte „Verschiebung“ der Perspektiven.
Wo es in herkömmlichen Romanen bisher vor allem auf die Größe der Raumschiffe und Waffen, auf die technischen und wissenschaftlichen Hintergründe und auf die Quantität der Bedrohung ankam, da stellt Leckie die Frage, ob man das passende Teegeschirr eingepackt hat, ob die Schmucknadel an der Uniform richtig platziert ist und ob man nicht erst einmal den Verwundeten hilft, bevor man sinnlose Kämpfe weiterführt – und trotzdem kommt keine Sekunde Langeweile auf, wirkt nichts Erzähltes überflüssig oder konstruiert.
Zukünftige Science-Fiction-Romane werden sich an diesem außergewöhnlich hohen Standard messen lassen müssen. Zurück bleibt ein Gefühl wehmütiger Zufriedenheit.
Horst Illmer
Ann Leckie
DAS IMPERIUM. Ein Roman aus der fernen Zukunft.
Ü: Bernhard Kempen
(Ancillery Mercy /2015)
München, Heyne, 2017, 448 S.
ISBN 978-3-453-31726-0
„Verstehen Sie wirklich nicht, was Sie getan haben?“
Diese fassungslos gestellte Frage der Imperatorin der Radchaai an die Flottenkapitänin/Hilfseinheit Breq bildet den Höhepunkt und Abschluss der „Ancillery“-Trilogie von Ann Leckie. Wobei sich alle anderen bei dieser Unterredung Anwesenden vermutlich die gleiche Frage stellen – und auch Breq selbst wohl eher ihrem Improvisationstalent vertraut,
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Die Zeitmaschine
von Horst Illmer am 10. März 2017 1 Kommentar
H. G. Wells
DIE ZEITMASCHINE. Eine Erfindung. Roman.
Neu übersetzt und mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von Lutz-W. Wolff
München, Deutscher Taschenbuchverlag, 2017, 191 S.
ISBN 978-3-423-14546-6
H. G. Wells
DIE ZEITMASCHINE. Eine Erfindung. Roman.
Übersetzung: Hans-Ulrich Möhring; Nachwort: Elmar Schenkel
Frankfurt/M., Fischer Taschenbuch, 2017, 237 S.
Fischer Klassik 95030 / ISBN 978-3-596-95030-0
An dieser Stelle etwas über den Inhalt von DIE ZEITMASCHINE (THE TIME MACHINE / 1895) zu schreiben, wäre eine Beleidigung des Lesers. Es gibt vermutlich nicht viele Bücher auf dieser Welt, deren Bekanntheitsgrad noch höher liegt. Warum also noch eine Rezension – und warum gerade jetzt?
Die Antwort ist recht trivial: Herbert George Wells ist inzwischen siebzig Jahre tot und seit 2017 ist der Text gemeinfrei, d. h. dass Verlage keine Lizenzgebühren mehr dafür bezahlen müssen. (Augenzwinkernde Anmerkung: Bleibt also mehr Geld für einen guten Übersetzer, wenn man dann eine Neuausgabe herausbringen möchte.)
Ebenso erstaunlicher wie erfreulicher Weise haben sich mit dtv und S.Fischer gleich zwei verlegerische Schwergewichte dazu berufen gefühlt, den berühmtesten Science-Fiction-Roman der Welt in einer aktuellen Neuübersetzung dem deutschsprachigen Publikum anzubieten. Und da DIE ZEITMASCHINE, trotz ihrer Ideenfülle und Komplexität, eigentlich ein recht kurzer Roman ist, blieb in beiden Ausgaben reichlich Platz für „Zusatzmaterial“, was bei einem inzwischen weit über einhundert Jahre alten Text ja durchaus hilfreich sein kann.
Schauen wir uns also zuerst einmal die beiden Übersetzungen selbst an.
Ohne ins Detail gehen zu wollen, scheint mir die Übersetzung von Lutz-W. Wolff die etwas „freiere“ zu sein, die etwas weniger am Original „angelehnte“, während Hans-Ulrich Möhring sehr intensiv die „zeittypische“ Stimmung der vorletzten Jahrhundertwende heraufzurufen versteht. Beide sind jedenfalls sehr flüssig und unproblematisch zu lesen – das bleibt also eher eine Geschmacksfrage, wie „modern“ man einen Romantext von 1895 haben möchte.
Und dann, die „Bonus-Tracks“.
Da die Hardcoverausgabe von S.Fischer das doppelte der dtv-Taschenbuchausgabe kostet, darf man hier wohl die größten Unterschiede erwarten – und wird nicht enttäuscht!
Bei dtv hat der Übersetzer Wolff ein kurzes Nachwort, fünfzehn Seiten mit Anmerkungen und eine ausführliche „Zeittafel“ geschrieben, dazu findet sich noch ein Vorwort von H. G. Wells selbst, das dieser für eine Neuausgabe im Jahre 1931 geschrieben hat. Insgesamt ausreichend.
Bei Fischer fährt man dafür „schweres Geschütz“ auf: Da darf der deutsche Wells-Fachmann und Biograf Elmar Schenkel seine Kenntnisse umfassend darlegen, alle drei bekannten Vorworte des Autors zu seinem Roman werden abgedruckt, dazu noch drei Vorstudien, in denen Wells die Zeitreise-Idee ausprobiert hat – und man findet eine acht Seiten lange „gestrichene“ Episode, die bisher noch in keiner deutschen DIE ZEITMASCHINE-Ausgabe enthalten war.
Auch hier muss der Leser (und sein Geldbeutel) selbst entscheiden, wie viel „mehr“ er zum Romantext braucht. Wer allerdings selbst noch keine Ausgabe von DIE ZEITMASCHINE besitzt, sollte daran denken, dass ohne dieses Buch der wichtigste „Grundstein“ zu jeder guten Science-Fiction-Sammlung fehlt.
Horst Illmer
H. G. Wells
DIE ZEITMASCHINE. Eine Erfindung. Roman.
Neu übersetzt und mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von Lutz-W. Wolff
München, Deutscher Taschenbuchverlag, 2017, 191 S.
ISBN 978-3-423-14546-6
H. G. Wells
DIE ZEITMASCHINE. Eine Erfindung. Roman.
Übersetzung: Hans-Ulrich Möhring; Nachwort: Elmar Schenkel
Frankfurt/M., Fischer Taschenbuch, 2017, 237 S.
Fischer Klassik 95030 / ISBN 978-3-596-95030-0
An dieser Stelle etwas über den Inhalt von DIE ZEITMASCHINE (THE TIME MACHINE / 1895) zu schreiben,
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In einer anderen Welt
von Horst Illmer am 28. Februar 2017 Kommentare deaktiviert für In einer anderen Welt
Jo Walton
IN EINER ANDEREN WELT. Roman.
Ü: Hannes Riffel
(Among Others / 2010)
München, Blanvalet, 2016, 415 Seiten
ISBN 978-3-7341-6068-4
Wenn es stimmen würde, dass Buchbesprechungen umso kürzer sind, je besser das besprochene Werk ist, dann müsste diese Rezension bereits seit längerem zu Ende sein.
Andersherum – je besser, desto umfangreicher – geht aber auch nicht: Da würde meine Rest-Lebenszeit für eine dem Buch angemessene Würdigung nicht ausreichen (und ich bin noch gar nicht so alt).
Versuchen wir also die goldene Mitte.
Einen phantastischen Roman, in dem es um Feen, Hexen und Magie geht, um ein junges Mädchen aus Wales, das in England auf ein Internat geschickt wird, um Science Fiction und Fantasy, um Bücher, Buchhandlungen und Bibliotheken, um erste Liebe und tote Zwillingsschwestern, um abgehauene Väter und böse Mütter, welche die Weltherrschaft erringen wollen, einen solchen phantastischen Roman als Autobiografie der Autorin zu bezeichnen, ist vielleicht etwas weit hergeholt.
Aber, andererseits, wurde Jo Walton 1964 in Wales geboren, sie braucht hin und wieder einen Stock beim Laufen, sie liebt Bücher über alles, und dass sie Magie wirken kann, beweist nicht zuletzt IN EINER ANDEREN WELT, wo der Zauber praktisch von jeder Seite tropft. Woher sonst, als aus persönlicher Erfahrung, sollte Walton denn sonst wissen, was in Morwennas in Spiegelschrift verfasstem, geheimen Tagebuch steht?
Es könnte aber auch sein, dass Jo Walton einfach nur eine der besten phantastischen Autorinnen der Gegenwart ist.
IN EINER ANDEREN WELT jedenfalls ist bis auf weiteres mein uneingeschränktes Lieblingsbuch!
Horst Illmer
Jo Walton
IN EINER ANDEREN WELT. Roman.
Ü: Hannes Riffel
(Among Others / 2010)
Berlin, Golkonda, 2013, 300 Seiten
ISBN 978-3-942396-75-2
Jo Walton
IN EINER ANDEREN WELT. Roman.
Ü: Hannes Riffel
(Among Others / 2010)
München, Blanvalet, 2016, 415 Seiten
ISBN 978-3-7341-6068-4
Wenn es stimmen würde, dass Buchbesprechungen umso kürzer sind, je besser das besprochene Werk ist, dann müsste diese Rezension bereits seit längerem zu Ende sein.
Andersherum – je besser, desto umfangreicher – geht aber auch nicht: Da würde meine Rest-Lebenszeit für eine dem Buch angemessene Würdigung nicht ausreichen (und ich bin noch gar nicht so alt).
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Freie Geister
von Horst Illmer am 7. Februar 2017 Kommentare deaktiviert für Freie Geister
Ursula K. Le Guin
FREIE GEISTER. Eine zwiespältige Utopie.
(The Dispossessed / 1974)
Neu übersetzt und mit einem Nachwort von Karen Nölle
Frankfurt a. M., Fischer/TOR, 2017, 432 S.
ISBN 978-3-596-03535-9 / Klappenbroschur
Der Bücherfrühling 2017 beginnt mit der von uns freudig erwarteten Neuausgabe von Ursula K. Le Guins Roman THE DISPOSSESSED aus dem Jahr 1974, der bei Fischer/TOR in der großartigen neuen Übersetzung von Karen Nölle jetzt den Titel FREIE GEISTER erhielt. Wie der Untertitel „Eine zwiespältige Utopie“ andeutet, handelt es sich hierbei um eine der seltensten Ausprägungen der Science Fiction – um einen utopischen Gesellschaftsentwurf. Damit nicht genug, versucht sich Le Guin (und das auch noch erfolgreich) an einer nur schwach bevölkerten, anarchistisch strukturierten Welt (Anarres), deren bloßes Da-Sein für die vielen Menschen auf dem kapitalistisch-hierarchischen Schwesterplaneten (Urras) gleichzeitig Drohung und Hoffnung ist.
Nach einer fast 200 Jahre währenden Zeit der freiwilligen Isolation versucht der anarrische Physiker Shevek durch einen Besuch auf Urras nicht nur seine Forschungsarbeiten zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, sondern auch eine Brücke zwischen den so unterschiedlichen Zivilisationen zu schlagen. Ob und wie Shevek sein(e) Ziel(e) erreicht schildert das Buch in 13 Kapiteln, die abwechselnd auf Anarres und Urras spielen und dabei zeitlich zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her springen, sodass am Ende ein stimmiges und komplexes Bild sowohl der handelnden Personen wie der utopischen Gemeinschaft steht.
Angesiedelt ist FREIE GEISTER in Le Guins „Hainish“-Universum (in das u. a. auch DIE LINKE HAND DER DUNKELHEIT gehört), sodass neben den Bewohnern des Doppelplaneten-Systems Tau Ceti auch Menschen der (inzwischen durch eine Umweltkatastrophe fast unbewohnbaren) Erde und von Hain ihren Auftritt haben.
Wer das Buch noch nicht kennt, darf hier einen echten Klassiker der Science Fiction entdecken, wer es unter seinen früheren Titeln PLANET DER HABENICHTSE oder DIE ENTEIGNETEN in Erinnerung hat, wird beim erneuten Lesen durch Nölles sehr genaue und unaufgeregte Übersetzung vielleicht sogar einen tieferen Zugang als bisher finden.
Mit FREIE GEISTER ist Ursula Le Guin etwas gelungen, das Thomas Morus vor 500 Jahren mit seiner Inselrepublik UTOPIA verpasst hat: Man kann es sich schon ganz gut vorstellen, auf Anarres zu leben und Mitglied der dortigen egalitären Gesellschaft zu werden.
Horst Illmer
Ursula K. Le Guin
FREIE GEISTER. Eine zwiespältige Utopie.
(The Dispossessed / 1974)
Neu übersetzt und mit einem Nachwort von Karen Nölle
Frankfurt a. M., Fischer/TOR, 2017, 432 S.
ISBN 978-3-596-03535-9 / Klappenbroschur
Der Bücherfrühling 2017 beginnt mit der von uns freudig erwarteten Neuausgabe von Ursula K. Le Guins Roman THE DISPOSSESSED aus dem Jahr 1974, der bei Fischer/TOR in der großartigen neuen Übersetzung von Karen Nölle jetzt den Titel FREIE GEISTER erhielt.
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Die drei Sonnen
von Horst Illmer am 16. Januar 2017 Kommentare deaktiviert für Die drei Sonnen
Cixin Liu
DIE DREI SONNEN. Roman.
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
(San Ti / 2006)
München, Heyne, 2017, 591 S.
ISBN 978-3-453-31716-1
Wenn wir – hier auf dem Planeten Erde – auf einer Party ein Glas loslassen, so fällt es unweigerlich zu Boden und hinterlässt eine Sauerei. Immer. Wenn wir morgen früh aufstehen, wird sich mit uns die Sonne erheben und einen neuen Tag beleuchten. Immer. Wenn wir alt genug werden, erleben wir zigtausend Male die immer gleiche Abfolge von Geburt und Tod, Säen und Ernten, Tag und Nacht. Und wir wissen gar nicht, wie glücklich wir uns deshalb schätzen sollten.
Kaum mehr als vier Lichtjahre von unserer Sonne entfernt gibt es das Sternsystem Alpha Centauri, bei dem es sich nach den neuesten Erkenntnissen um ein Drei-Sterne-System handelt, das vermutlich sogar einen Exoplaneten hat. Wie wäre es auf diesem Planeten wohl bestellt mit dem fallenden Glas, dem Aufgehen der Sonne (welcher auch immer) und der Abfolge von Tagen, Monaten oder Jahreszeiten?
Diesen Fragen – unter anderem – widmet sich der Roman DIE DREI SONNEN von Cixin Liu. Liu ist ein chinesischer Science-Fiction-Autor, sein Roman der Auftakt zu einer Trilogie und es geht ihm ein Ruf wie Donnerhall voraus. Immerhin hat er in seiner Heimat den Galaxy Award und in den USA (als erster chinesischer Roman überhaupt) den Hugo Award gewonnen.
Die Geschichte spielt in China und auf dem Planeten Trisolaris. Die Handlung pendelt zwischen den Tagen der Kulturrevolution und Heute (Erde) sowie einer Abfolge von mehr als zweihundert Zivilisationen (Trisolaris) hin und her. Die Protagonisten sind – hier wie dort – Wissenschaftler, Militärs und Politiker, die jedoch – hier wie dort – auch noch ein „normales“ Leben besitzen.
Erzählt wird davon, wie zwischen diesen beiden Welten ein erster Kontakt hergestellt wird und was dieser Erstkontakt für Folgen haben könnte. Nun gibt es in der Science Fiction ja bereits eine ganze Reihe mehr oder weniger gelungener „First Contact“-Geschichten, aber wie Liu dieses Thema angeht, verspricht zu einer äußerst gelungenen Interpretation zu werden. Am Ende von DIE DREI SONNEN wurden den Lesern jedenfalls genug „Brotkrümel“ hingeworfen, damit sie ungeduldig auf ein baldiges Erscheinen der weiteren Bände warten.
Nicht zu Unrecht wirbt Heyne mit einem knallroten „Die Sensation aus China“-Aufkleber für das Buch. Cixin Liu erweist sich als Könner im Aufbau von Handlung und als hervorragender Geschichtenerzähler. Der Heyne Verlag hat den Text direkt aus dem Chinesischen übersetzen lassen und, neben einem Nachwort des Autors, auch einen Anhang beigegeben, in dem dankenswerter Weise einige Aussprachehilfen und kurzgefasste Begriffserklärungen zum Verständnis beitragen – denn manchmal wirkt die chinesische Kultur fremder als die der Trisolarier.
Horst Illmer
Cixin Liu
DIE DREI SONNEN. Roman.
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
(San Ti / 2006)
München, Heyne, 2017, 591 S.
ISBN 978-3-453-31716-1
Wenn wir – hier auf dem Planeten Erde – auf einer Party ein Glas loslassen, so fällt es unweigerlich zu Boden und hinterlässt eine Sauerei. Immer. Wenn wir morgen früh aufstehen, wird sich mit uns die Sonne erheben und einen neuen Tag beleuchten. Immer. Wenn wir alt genug werden, erleben wir zigtausend Male die immer gleiche Abfolge von Geburt und Tod,
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High-Rise
von Horst Illmer am 24. Dezember 2016 Kommentare deaktiviert für High-Rise
J. G. Ballard
HIGH-RISE. Roman.
Ü: Michael Koseler
(High-Rise / 1975)
Zürich, Diaphanes, 2016, 250 S.
ISBN 978-3-03734-932-8
Der englische Autor J. G. Ballard hat die Form der minimalistischen Katastrophen-Erzählung in vorher ungekannte Höhen geführt. In seinen Geschichten gibt es zumeist nur sehr wenig Handlung und kaum so etwas wie action, dafür erleben seine Figuren die ihnen zugefügten Heimsuchungen, Verletzungen, Plagen, Unfälle, Missgeschicke häufig als faszinierende Abfolge von Ereignissen, die sie nicht nur widerspruchslos hinnehmen, sondern oft auch noch voller Hingabe erwarten.
Nach mehr als dreißig Jahren „in Planung“ (so der Film-Produzent Jeremy Thomas) kam Anfang des Jahres 2016 die Verfilmung des Ballard-Klassikers HIGH-RISE in die Kinos, was nun wiederum der Diaphanes Verlag zum Anlass für eine Neuausgabe des Buches nahm.
In dem seit vielen Jahren vergriffenen near future-Hochhaus-Roman aus dem Jahr 1975 erreicht Ballards Kulturpessimismus ungeheure Ausmaße. Mehr als zweitausend Menschen schließen sich freiwillig in einem 40-stöckigen Betonkomplex ein und beginnen eine sinn- und erbarmungslose Orgie der gegenseitigen Zerstörung, die sämtlichen denkbaren Perversionen Raum zur Entfaltung bietet.
Auf höchstem stilistischem Niveau, und von Michael Koseler hervorragend übersetzt, betrachtet James Graham Ballard seine Mitmenschen wie im Reagenzglas einer chemischen Versuchsanordnung befindlich. Dieser Roman ist erbarmungslos und verstörend und gleichzeitig fesselnd und einzigartig.
Horst Illmer
J. G. Ballard
HIGH-RISE. Roman.
Ü: Michael Koseler
(High-Rise / 1975)
Zürich, Diaphanes, 2016, 250 S.
ISBN 978-3-03734-932-8
Der englische Autor J. G. Ballard hat die Form der minimalistischen Katastrophen-Erzählung in vorher ungekannte Höhen geführt. In seinen Geschichten gibt es zumeist nur sehr wenig Handlung und kaum so etwas wie action, dafür erleben seine Figuren die ihnen zugefügten Heimsuchungen, Verletzungen, Plagen, Unfälle, Missgeschicke häufig als faszinierende Abfolge von Ereignissen, die sie nicht nur widerspruchslos hinnehmen,
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Die Maschine steht still
von Horst Illmer am 24. Dezember 2016 1 Kommentar
E. M. Forster
DIE MASCHINE STEHT STILL.
Ü: Gregor Runge
(The Machine Stops / 1909)
Hamburg, Hoffman & Campe, 2016, 80 S.
ISBN 978-3-455-40571-2 / 15.00 Euro
Manchmal hilft beten ja doch: Kaum 70 Jahre sind seit der ersten (und bisher einzigen) deutschen Ausgabe vergangen und schon hat Hoffman und Campe unser Flehen erhört und eine – wunderschön gemachte – Einzelausgabe von E. M. Forsters dystopischer Meisternovelle DIE MASCHINE STEHT STILL veröffentlicht.
Auf gerade einmal 80 Seiten (in der sehr guten Übersetzung von Gregor Runge) schreibt der englische Autor Edward Morgan Forster (1879–1970) darüber, wie das Leben von Menschen abläuft, wenn ihnen sofortiger, weltweiter Informationsaustausch, soziale Netzwerke, Videotelefonie, portofreie Lieferung von im Netz bestellten Dingen usw. zur Verfügung stehen. Eigentlich muss niemand mehr vor die Türe seine Wohn-Wabe gehen, wenn das aber doch einmal erforderlich wird, können die Bewohner in Forsters Zukunftswelt auf von autonomen Maschinen gesteuerte Verkehrsmittel zugreifen und innerhalb kürzester Zeit zwischen den unterirdisch angelegten Städten hin und her reisen.
Alles läuft vollautomatisch, gesteuert von der ebenso geheimnisvollen wie allmächtigen „Maschine“, deren mehr als tausendseitige Bedienungsanleitung das Heilige Buch dieser Zivilisation geworden ist. Mit zunehmender Laufzeit schleichen sich jedoch erste Fehler ins Programm ein. Trotz der ständig versprochenen Instandsetzungsabreiten eskaliert die Situation – und so stellt sich die Frage, was passiert, wenn die Maschine einmal komplett stillsteht …?
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – oder gar Parallelen zu diversen Ereignissen der letzten Wochen, Monate und Jahre zieht.
Geschrieben wurde dieser Klassiker übrigens bereits 1909.
Horst Illmer
E. M. Forster
DIE MASCHINE STEHT STILL.
Ü: Gregor Runge
(The Machine Stops / 1909)
Hamburg, Hoffman & Campe, 2016, 80 S.
ISBN 978-3-455-40571-2 / 15.00 Euro
Manchmal hilft beten ja doch: Kaum 70 Jahre sind seit der ersten (und bisher einzigen) deutschen Ausgabe vergangen und schon hat Hoffman und Campe unser Flehen erhört und eine – wunderschön gemachte – Einzelausgabe von E. M. Forsters dystopischer Meisternovelle DIE MASCHINE STEHT STILL veröffentlicht.
Auf gerade einmal 80 Seiten (in der sehr guten Übersetzung von Gregor Runge) schreibt der englische Autor Edward Morgan Forster (1879–1970) darüber,
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Wie man die Unendlichkeit in den Griff bekommt
von Horst Illmer am 22. Dezember 2016 Kommentare deaktiviert für Wie man die Unendlichkeit in den Griff bekommt
James Tiptree jr.
WIE MAN DIE UNENDLICHKEIT IN DEN GRIFF BEKOMMT.
Briefe, Essays und Lyrik.
Ü: E. Bittner, S. Gmeiner, M. Preissl, B. Schneider, A. Stumpf & M. J. Warnken
Mit Vorworten von Jeffrey D. Smith, Karen Joy Fowler und Julie Phillips
(Letters from Yucatan and Other Points of the Soul / 2000 & Neat Sheets / 1996 & Dear Starbear / 2006)
Wien, Septime Verlag, 2016, 455 S.
ISBN 978-3-902711-42-7
So, die Nase ist geputzt, die Tränen sind getrocknet und der Kloß im Hals ist hinuntergeschluckt – zurück in die wirklich wahre Welt: Tatsächlich hat mich WIE MAN DIE UNENDLICHKEIT IN DEN GRIFF BEKOMMT, das neueste Buch in der James Tiptree Jr.-Werkausgabe des Septime Verlags, weit intensiver mitgenommen als ich mir das von einem Sammelband mit Interviews, Essays, Gedichten und Briefwechseln vorstellen konnte.
Deshalb zuvörderst und völlig ernst gemeint mein Dank an den Verlag, der – und auch das muss herausgestellt werden – uns Tiptree-Lesern mit diesem wundervollen Hardcoverband eigentlich drei Bücher zum Preis von einem überreicht. Denn WIE MAN DIE UNENDLICHKEIT IN DEN GRIFF BEKOMMT besteht aus drei sehr unterschiedlichen Teilen, die im Original auch in drei Büchern erschienen sind.
Den Anfang machen die „Briefe aus Yucatán und anderen Orten der Seele“, eine Zusammenstellung von Texten, die Tiptree überwiegend zur Veröffentlichung in den diversen Fanzines ihres Mega-Fans Jeffrey D. Smith geschrieben hat. Bereits hier merkt man als Leser, wie emotional Tiptree an solche Interviews, Artikel und Reise-Briefe heranging – offenbar war Distanz nicht so ihr Ding. Besonders die „Ent-Tarnung“ ihres Männer-Pseudonyms stürzte Alice Sheldon erkennbar in eine tiefe Krise.
Gleiches gilt für „Lieber Starbear“, den Briefwechsel mit Ursula K. Le Guin. Wohl selten haben zwei Seelen intensiver auf „gleicher Wellenlänge“ korrespondiert, als dies bei „Onkel Tip“ und der „Bärin“ Ursula der Fall war – und selten habe ich bewegendere (literarische) Momente erfahren als in dem „Bekennerbrief“ Tiptree/Sheldons und dem unfassbar empathischen Antwortbrief Le Guins, die den Höhepunkt und Abschluss dieses Buches bilden.
Am wenigsten Anfangen konnte ich mit der Lyrik Sheldons (18 Gedichte aus der Zeit um 1950), die in der kaum 30 Seiten umfassenden Abteilung „Nette Zettel“ enthalten ist. Das mag an meiner Unempfänglichkeit für Poesie liegen, oder daran, dass Alice Sheldon damals einfach noch nicht James Tiptree jr. war. Trotzdem gehören die Gedichte natürlich in diesem Rahmen einer Werkausgabe dazu.
WIE MAN DIE UNENDLICHKEIT IN DEN GRIFF BEKOMMT sollte eigentlich bereits zum 100. Geburtstag Sheldons 2015 erscheinen; was die Verzögerung um über ein Jahr verursacht hat, ist mir nicht bekannt, aber das (mein) Warten hat nun ein Ende – und es hat sich gelohnt!
Horst Illmer
James Tiptree jr.
WIE MAN DIE UNENDLICHKEIT IN DEN GRIFF BEKOMMT.
Briefe, Essays und Lyrik.
Ü: E. Bittner, S. Gmeiner, M. Preissl, B. Schneider, A. Stumpf & M. J. Warnken
Mit Vorworten von Jeffrey D. Smith, Karen Joy Fowler und Julie Phillips
(Letters from Yucatan and Other Points of the Soul / 2000 & Neat Sheets / 1996 & Dear Starbear / 2006)
Wien, Septime Verlag, 2016, 455 S.
ISBN 978-3-902711-42-7
So,
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Armstrong – Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond
von Horst Illmer am 24. November 2016 Kommentare deaktiviert für Armstrong – Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond
Torben Kuhlmann
ARMSTRONG – DIE ABENTEUERLICHE REISE EINER MAUS ZUM MOND.
Zürich, NordSüd, 2016, 128 Seiten
ISBN 978-3-314-10348-3
Als Torben Kuhlmann 2012 sein Illustrations- und Kommunikationsdesign-Studium mit dem Bilderbuch LINDBERGH – DIE ABENTEUERLICHE GESCHICHTE EINER FLIEGENDEN MAUS (Erstveröffentlichung 2014 im NordSüd Verlag) abschloss, konnte er noch nicht wissen, dass er damit gleich einen Welterfolg landen würde, der inzwischen in 20 Sprachen erhältlich ist. Nach einem Ausflug in die geheimnisvolle Welt unterhalb der heimischen Grasnarbe (MAULWURFSTADT, 2015), setzt Kuhlmann jetzt die Geschichte der Mäuse-Luftschifffahrt in ARMSTRONG – DIE ABENTEUERLICHE REISE EINER MAUS ZUM MOND fort.
Als Neil Armstrong im Juli 1969 den Mond erreicht, muss er überrascht feststellen, dass er zwar der erste Mensch dort oben ist, jedoch nicht der erste Besucher von der Erde – eine kleine Fahne und winzige Fußspuren weisen den Weg in die richtige Richtung …
Kuhlmanns kontrafaktische Geschichtsschreibung zeigt in wunderschönen, detailverliebten Bildern, mit welch großen Widrigkeiten und Problemen, mit welchen Gefahren und Rückschritten der Weg zum Mond auch für kleinere Intelligenzwesen gepflastert ist – und wie Erfindungsreichtum, Mut und der Glaube an die Wissenschaft aus einer bloßen Möglichkeit eine geschichtsträchtige Tatsache werden lassen.
ARMSTRONG – DIE ABENTEUERLICHE REISE EINER MAUS ZUM MOND ist ein Bilderbuch der ganz besonderen Art. Und wer hätte gedacht, dass Amerika einmal von einer Maus „erobert“ wird, die am Zeichentisch eines deutschen Künstlers entstanden ist.
Horst Illmer
Torben Kuhlmann
ARMSTRONG – DIE ABENTEUERLICHE REISE EINER MAUS ZUM MOND.
Zürich, NordSüd, 2016, 128 Seiten
ISBN 978-3-314-10348-3
Als Torben Kuhlmann 2012 sein Illustrations- und Kommunikationsdesign-Studium mit dem Bilderbuch LINDBERGH – DIE ABENTEUERLICHE GESCHICHTE EINER FLIEGENDEN MAUS (Erstveröffentlichung 2014 im NordSüd Verlag) abschloss, konnte er noch nicht wissen, dass er damit gleich einen Welterfolg landen würde, der inzwischen in 20 Sprachen erhältlich ist. Nach einem Ausflug in die geheimnisvolle Welt unterhalb der heimischen Grasnarbe (MAULWURFSTADT,
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Die Mauern der Welt hoch
von Horst Illmer am 20. November 2016 Kommentare deaktiviert für Die Mauern der Welt hoch
James Tiptree jr.
DIE MAUERN DER WELT HOCH. Roman.
Ü: Bella Wohl
(Up the Walls of the World / 1978)
Wien, Septime Verlag, 2016, 500 S.
ISBN 978-3-902711-46-5
Als Kurzgeschichtenautorin hatte Alice Sheldon unter ihren Pseudonymen James Tiptree jr. und Raccoona Sheldon in den Jahren zwischen 1968 und 1977 die Science Fiction ordentlich durcheinander gebracht. Nachdem ihre „Tarnung“ im Jahr 1977 aufgeflogen war, versuchte sie sich 1978 erstmals an einem längeren Text. Das Ergebnis war der SF-Roman UP THE WALLS OF THE WORLD, der 1980 bei Heyne unter dem Titel DIE FEUERSCHNEISE auch auf Deutsch erschien, aber seit vielen Jahren vergriffen war.
Allerdings dauerte es dann bis zum Herbst 2016, bevor der Wiener Septime Verlag das Buch im Rahmen der Tiptree-Werkausgabe unter dem Titel DIE MAUERN DER WELT HOCH in einer Neuübersetzung von Bella Wohl wieder zugänglich machte.
Der Roman erzählt vom Aufeinandertreffen dreier Rassen, den Menschen der Erde, den fliegenden Rochen des Planeten Tyree und DEM ZERSTÖRER (der ähnlich wie Terry Pratchetts TOD nur in Versalien kommuniziert bzw. denkt), einem unfassbar großen und fast allmächtigen Wesen, dessen Wirken sich katastrophal auf alles auswirkt, das in seinen Weg gerät. Auf Tiptree-typische Weise verläuft dieser dreifache Erstkontakt jedoch ziemlich anders, als dies in der Science Fiction sonst üblich ist.
Der Roman ist nicht ganz so stark wie viele der Kurzgeschichten, dafür ist er mit sehr viel Leidenschaft und Optimismus geschrieben – etwas, das heutzutage in der gesamten Literatur viel zu kurz kommt.
Horst Illmer
James Tiptree jr.
DIE MAUERN DER WELT HOCH. Roman.
Ü: Bella Wohl
(Up the Walls of the World / 1978)
Wien, Septime Verlag, 2016, 500 S.
ISBN 978-3-902711-46-5
Als Kurzgeschichtenautorin hatte Alice Sheldon unter ihren Pseudonymen James Tiptree jr. und Raccoona Sheldon in den Jahren zwischen 1968 und 1977 die Science Fiction ordentlich durcheinander gebracht. Nachdem ihre „Tarnung“ im Jahr 1977 aufgeflogen war, versuchte sie sich 1978 erstmals an einem längeren Text.
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Die Medusa Chroniken
von Horst Illmer am 16. November 2016 Kommentare deaktiviert für Die Medusa Chroniken
Stephen Baxter & Alastair Reynolds
DIE MEDUSA CHRONIKEN. Roman.
Ü: Peter Robert & Eva Malsch
(The Medusa Chronicles / 2016)
München Heyne, 2016, 590 S.
ISBN 978-3-453-31784-0
Der Roman DIE MEDUSA CHRONIKEN ist die erste Zusammenarbeit der beiden britischen Science-Fiction-Autoren Stephen Baxter und Alastair Reynolds. Damit haben sie sich gleich eine der denkbar höchsten Messlatten des Genres aufgelegt: die Fortschreibung von Arthur C. Clarkes mit dem Nebula Award prämierter Novelle „Ein Treffen mit Medusa“ aus dem Jahr 1971. (Allerdings hat ja vor allem Stephen Baxter bereits hinlänglich Erfahrung mit Clarke-Texten, da er in dessen letzten Lebensjahren mehrmals mit ihm gemeinsam Romane verfasste.)
DIE MEDUSA CHRONIKEN setzen einige Jahre nach den in der Erzählung beschriebenen Ereignissen ein und berichten über den weiteren Lebensweg von Howard Falcon, der aufgrund diverser Operationen nach einem Unfalls inzwischen fast zu einem Cyborg geworden ist. In seiner langlebigen „Hülle“ erlebt Falcon die Expansion der Menschheit über mehrere Jahrhunderte mit – und immer wieder muss er persönlich alles geben, um seiner Spezies den richtigen Weg zu weisen.
Baxter und Reynolds gehören derzeit zu den besten Autoren im Bereich der sogenannten „harten Science Fiction“ und der Space Opera und was die beiden aus Clarkes Vorlage weiterentwickeln sind 500 Seiten purer Sense of Wonder.
Anders als in den englischsprachigen Ausgaben hatte der Heyne Verlag zudem die gute Idee und bringt im Anhang Arthur C. Clarkes immerhin auch 70 Seiten lange Geschichte – und auch diese ist es immer noch wert (wieder) gelesen zu werden.
Horst Illmer
Stephen Baxter & Alastair Reynolds
DIE MEDUSA CHRONIKEN. Roman.
Ü: Peter Robert & Eva Malsch
(The Medusa Chronicles / 2016)
München Heyne, 2016, 590 S.
ISBN 978-3-453-31784-0
Der Roman DIE MEDUSA CHRONIKEN ist die erste Zusammenarbeit der beiden britischen Science-Fiction-Autoren Stephen Baxter und Alastair Reynolds. Damit haben sie sich gleich eine der denkbar höchsten Messlatten des Genres aufgelegt: die Fortschreibung von Arthur C. Clarkes mit dem Nebula Award prämierter Novelle „Ein Treffen mit Medusa“ aus dem Jahr 1971.
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J. G. Ballard – Science Fiction als Paradoxon
von Horst Illmer am 5. November 2016 Kommentare deaktiviert für J. G. Ballard – Science Fiction als Paradoxon
Hans Frey
J. G. BALLARD – SCIENCE FICTION ALS PARADOXON.
Berlin, Memoranda/Golkonda, 2016, 417 S.
SF Personality Band 25
ISBN 978-3-944720-79-1 / 24,90 Euro
Wenn man sich noch an die gehefteten Fotokopien der Anfangsjahre im Fandom zurückerinnern kann, vermag man fast gar nicht zu glauben, welch professionelle und ästhetische Weiterentwicklung die von Hardy Kettlitz entwickelte und herausgegebene Reihe „SF Personality“ in den letzten Jahren genommen hat. Der von Hans Frey verfasste Jubiläumsband 25, betitelt J. G. BALLARD – SCIENCE FICTION ALS PARADOXON, der sich auf mehr als 400 Seiten mit dem außergewöhnlichen Schriftsteller und Großmeister der Short Story beschäftigt, erscheint inzwischen in einem richtigen Verlag, ist als aufwändige Klappenbroschur gestaltet und über jede Buchhandlung zu beziehen.
An James Graham Ballard (1930 – 2009), der praktisch im Alleingang die New Wave „erfunden“ und die englischsprachige Science Fiction mit neuen Ausdrucksformen bereichert und in ungeahnte stilistische Höhen befördert hat, scheiden sich die Geister. Während er für viele Fans ein integraler Bestandteil der SF ist, gibt es Kritiker, die seine Texte für „Anti-SF“ halten.
Auch Hans Frey tendiert in seinem ausführlichen Überblick, in dem er jede einzelne Kurzgeschichte und alle Romane bespricht, dazu, Ballard ein „auf-den-Kopf-stellen“ der Genrekonventionen zu attestieren. Was ihn jedoch nicht davon abhält, die stilistische Brillanz Ballards anzuerkennen und auf das Paradoxe dieser „Bereicherung durch Negierung“ hinzuweisen.
Im Anhang findet man als stimmige Ergänzung ein langes Interview, das Werner Fuchs und Joachim Körber 1982 in Shepperton mit Ballard führten, sowie eine ausführliche Bibliografie und einen Index.
J. G. BALLARD – SCIENCE FICTION ALS PARADOXON ist ein würdiger Jubiläumsband, der sich definitiv mit dem Leben und Werk des britischen Solitärs auseinandersetzt und nach dessen Lektüre keine Fragen und Wünsche mehr offen bleiben.
Horst Illmer
Hans Frey
J. G. BALLARD – SCIENCE FICTION ALS PARADOXON.
Berlin, Memoranda/Golkonda, 2016, 417 S.
SF Personality Band 25
ISBN 978-3-944720-79-1 / 24,90 Euro
Wenn man sich noch an die gehefteten Fotokopien der Anfangsjahre im Fandom zurückerinnern kann, vermag man fast gar nicht zu glauben, welch professionelle und ästhetische Weiterentwicklung die von Hardy Kettlitz entwickelte und herausgegebene Reihe „SF Personality“ in den letzten Jahren genommen hat. Der von Hans Frey verfasste Jubiläumsband 25,
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Die Hugo Awards 1985 – 2000
von Horst Illmer am 21. Oktober 2016 Kommentare deaktiviert für Die Hugo Awards 1985 – 2000
Hardy Kettlitz
DIE HUGO AWARDS 1985 – 2000.
Berlin, Memoranda/Golkonda, 2016, 279 Seiten
ISBN 978-3-944720-73-9
Mit den HUGOs ist das so eine Sache: Nicht nur, dass Hardy Kettlitz und sein Memoranda Verlag von der begeisterten Aufnahme des ersten DIE HUGO AWARDS-Buches durch die deutschen Leser überrascht wurden, auch die Fans, die in den USA diesen Preis vergeben, machten den HUGO zu einer immer größeren Erfolgsgeschichte. Das Ergebnis ist nun aber, dass der von Kettlitz geplante zweite Band aufgrund der ausufernden Anzahl der Kategorien, in denen der HUGO vergeben wurde, mehr als doppelten Umfang im Vergleich zu Band Eins (der die Jahre von 1953 bis 1984 abhandelt) gehabt hätte. Klugerweise macht Kettlitz nun einen Schnitt im Jahr 2000 und präsentiert im zweiten Buch auf gut gefüllten 279 Seiten die Preisträger der Jahre 1985 bis 2000.
In gewohnter Qualität und Ausführlichkeit werden die Romane, Erzählungen, Filme, Fans et cetera, et cetera vorgestellt, die Besonderheiten der jeweiligen Preisveranstaltungen erläutert und alle interessanten Details minutiös vermerkt. Und wieder einmal erringt der Autor nicht nur mit seinen umfassenden Kenntnissen unseren Respekt, sondern auch durch die wundervolle Bebilderung, die in ihrer Komplettheit beispiellos ist und bleibt.
Auch DIE HUGO AWARDS 1985 – 2000 laden wieder zum stundenlangen, intensiven Schmökern ein, bringen Erinnerungen an lange Vergessenes und gerne Gelesenes zum Vorschein und machen Lust, das (noch) nicht Gekannte zu erforschen. Einfach ein Genuss!
Horst Illmer
Hardy Kettlitz
DIE HUGO AWARDS 1985 – 2000.
Berlin, Memoranda/Golkonda, 2016, 279 Seiten
ISBN 978-3-944720-73-9
Mit den HUGOs ist das so eine Sache: Nicht nur, dass Hardy Kettlitz und sein Memoranda Verlag von der begeisterten Aufnahme des ersten DIE HUGO AWARDS-Buches durch die deutschen Leser überrascht wurden, auch die Fans, die in den USA diesen Preis vergeben, machten den HUGO zu einer immer größeren Erfolgsgeschichte. Das Ergebnis ist nun aber, dass der von Kettlitz geplante zweite Band aufgrund der ausufernden Anzahl der Kategorien,
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Das Science Fiction Jahr 2016
von Horst Illmer am 16. Oktober 2016 Kommentare deaktiviert für Das Science Fiction Jahr 2016
Hannes Riffel & Sascha Mamczak (Hrsg.)
DAS SCIENCE FICTION JAHR 2016.
Berlin, Golkonda, 2016, 670 S.
ISBN 978-3-944720-97-5 / 29,90 Euro
Ist das jetzt langweilig oder eine echte Herausforderung? Das einunddreißigste SCIENCE FICTION JAHR zu besprechen, stellt den Unterzeichnenden tatsächlich kurz vor diese Entscheidung – allerdings reicht dann, wie immer in den letzten einunddreißig Jahren, bereits der Blick ins Inhaltsverzeichnis, um die Lage zu klären: Keine Langeweile!
Und die Herausforderung liegt wie jedes Mal nur darin, mit dieser Flut an Informationen fertig zu werden: Der Science-Fiction-Autor und Wissenschaftsjournalist David Brin schreibt über das vergangene, super-erfolgreiche Jahr 2015, als „das beste Weltraum-Jahr aller Zeiten“. Der Literaturwissenschaftler Dr. John Rieder versucht sich an einer neuen, umfassend gültigen Gattungsdefinition der Science Fiction. Der Wiener Datensammler Christian Pree hat eine knapp einhundert Seiten starke Bibliografie der im vergangenen Berichtszeitraum erschienenen SF-Titel erstellt. Elisabeth Bösl hat Dmitry Glukhovsky interviewt. Christian Endres hat sich alle (!) phantastischen TV-Serien für uns angeschaut (Danke). Ralph Sander hat nochmals das STAR TREK-Universum besucht, was sich ebenso dessen 50-jährigem Bestehen verdankt, wie Michael-Lothar Höflers Bericht über den deutschen Widerpart RAUMPATROUILLE.
Und so weiter, et cetera, bis fast ad inifinitum …
Aber wie immer haben wir ja ein ganzes Jahr Zeit, bis zum nächsten, dann zweiunddreißigsten, DAS SCIENCE FICTION JAHR. Auf dessen Erscheinen wir dann ja doch wieder sehnsüchtig warten.
Horst Illmer
Hannes Riffel & Sascha Mamczak (Hrsg.)
DAS SCIENCE FICTION JAHR 2016.
Berlin, Golkonda, 2016, 670 S.
ISBN 978-3-944720-97-5 / 29,90 Euro
Ist das jetzt langweilig oder eine echte Herausforderung? Das einunddreißigste SCIENCE FICTION JAHR zu besprechen, stellt den Unterzeichnenden tatsächlich kurz vor diese Entscheidung – allerdings reicht dann, wie immer in den letzten einunddreißig Jahren, bereits der Blick ins Inhaltsverzeichnis, um die Lage zu klären: Keine Langeweile!
Und die Herausforderung liegt wie jedes Mal nur darin,
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Superhelden
von Horst Illmer am 8. Oktober 2016 Kommentare deaktiviert für Superhelden
Dietmar Dath
SUPERHELDEN. 100 SEITEN.
Stuttgart, Reclam, 2016, 101 S.
ISBN 978-3-15-020420-7 / 10,00 Euro
In Anlehnung an einen alten Woody-Allen-Film könnte dieses Buch auch WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SUPERHELDEN WISSEN WOLLTEN – ABER BISHER NICHT ZU FRAGEN WAGTEN als Titel haben. Im Stuttgarter Reclam Verlag entschied man sich jedoch für das etwas allgemeinere SUPERHELDEN – 100 SEITEN, was zugleich auf den Umfang wie auf die neue Reihenbezeichnung hinweist.
Der vielseitig gebildete Dietmar Dath, als Schriftsteller und Journalist ein engagierter Hans-Dampf-in- allen-Gassen, übernahm die Aufgabe, innerhalb der neugeschaffenen „jungen, modernen und super-aktuellen“ 100-Seiten-Reihe die amerikanischen Superhelden-Comics so zu erklären, dass die Leser hinterher einen über ihr bisheriges, bruchstückhaftes Halbwissen hinausreichenden Gesamteindruck über eines der interessantesten und spannendsten popkulturellen Genres der Gegenwart besitzen.
Die Methode des umfangreichen Essays, mit der Dath diese Aufgabe angeht, hat vor allem im englischsprachigen Raum eine große Tradition – hierzulande sind (literatur-)wissenschaftliche Abhandlungen, die sich zugleich auch noch unterhaltsam lesen lassen, eher verpönt (und deshalb die Ausnahme). An solchen „Kleinigkeiten“ hat sich Dath jedoch nie gestört, da machen sich seine „Superhelden“-Vorbilder Karl Marx und Harlan Ellison bemerkbar, von denen er das unerschrockene Eintreten für klare Worte und verständliche Sprache gelernt hat.
Wer also eine trockene Nacherzählung eines Wikipedia-Artikels befürchtet hat, darf sich über eine originelle und unorthodoxe Geschichte der Superhelden (und -Schurken) freuen, die von Swamp Thing bis zu Watchmen, von den Jugenderinnerungen des Autors (S. 1) bis zum „Superhelden-Nachwuchs in einem Stuttgarter Kindergarten 2016“ (S. 100), von der Body-Count-Übersicht („Punisher“: 49.000; „Superman“: 1) über die Geschlechterverteilung in den großen Superhelden-Verlagen (jeweils etwa 30 % Frauenanteil) bis hin zur Übersicht, welche Mitglieder die einzelnen Superhelden-Teams gegründet haben, reicht.
Die Schaubilder und einige klug ausgewählte Schwarzweiß-Fotos lockern den Text auf und unterstützen das Geschriebene, in dem Dath nicht nur die Herkunft und Gegenwart der Superhelden erzählt, sondern in einem eigenen Abschnitt auch darauf eingeht, „was sie bedeuten und wohin sie streben“. Die im Anhang beigefügten 11 (in Worten: elf!) „Lektüretipps“ machen klar, dass es Autor und Verlag in SUPERHELDEN nicht darum ging, das „klassische“ Reclam-Heft-Format zu bedienen, sondern die durchaus reichlich vorhandenen Informationen auf geradezu revolutionär-untypische Weise zu vermitteln – und gerade das macht dieses schmale Büchlein so wertvoll und empfehlenswert.
Horst Illmer
Dietmar Dath
SUPERHELDEN. 100 SEITEN.
Stuttgart, Reclam, 2016, 101 S.
ISBN 978-3-15-020420-7 / 10,00 Euro
In Anlehnung an einen alten Woody-Allen-Film könnte dieses Buch auch WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SUPERHELDEN WISSEN WOLLTEN – ABER BISHER NICHT ZU FRAGEN WAGTEN als Titel haben. Im Stuttgarter Reclam Verlag entschied man sich jedoch für das etwas allgemeinere SUPERHELDEN – 100 SEITEN, was zugleich auf den Umfang wie auf die neue Reihenbezeichnung hinweist.
Der vielseitig gebildete Dietmar Dath,
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Schlachthof 5
von Horst Illmer am 26. August 2016 Kommentare deaktiviert für Schlachthof 5
Kurt Vonnegut
SCHLACHTHOF 5 ODER DER KINDERKREUZZUG. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Gregor Hens
(Slaughterhouse-Five or The Children’s Crusade / 1969)
Hamburg, Hoffmann und Campe, 2016, 240 S.
ISBN 978-3-455-40555-2 / 24,00 Euro
Es gibt sie, gottseidank, diese Bücher, die mir immer wieder in die Hände fallen und dann sehr eindringlich darauf hinweisen, dass ich sie, gefälligst, doch endlich wieder einmal lesen sollte.
Eines dieser aufdringlichen Dinger ist Kurt Vonneguts Roman SCHLACHTHOF 5.
Vor 46 Jahren erschien das Buch erstmals auf Deutsch, in der Fassung von Kurt Wagenseil (1904 – 1988), dem wir immerhin so legendäre Übersetzungen wie die von George Orwells NEUNZEHNHUNDERTVIERUNDACHTZIG und der Werke Henry Millers verdanken. Es war diese Übersetzung, die Vonnegut in Deutschland zum Durchbruch verhalf und ihn gleich mehreren Lesergenerationen ans Herz wachsen ließ.
Jetzt aber fand man es bei Hoffman und Campe an der Zeit, diesem Doppel-Klassiker (sowohl der Science Fiction wie der Mainstream-Literatur) eine Runderneuerung zu verpassen. So erhielt der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Gregor Hens (* 1965) den Auftrag zu einer neuen, zeitgemäßen Übertragung.
Und ich darf sagen, es hat sich gelohnt.
Hens ist (naturgemäß) durchgängig etwas flotter und moderner unterwegs, er ist etwas näher am Original, etwas pfiffiger bei den Schimpfwörtern und Slangausdrücken, außerdem profitiert er natürlich davon, dass es in den USA inzwischen textkritische Ausgaben von Vonneguts Hauptwerk gibt.
Im direkten Vergleich kann ich sagen, dass SCHLACHTHOF 5 ODER DER KINDERKREUZZUG dieses „Upgrade“ nicht nur gut verkraftet hat, sondern auch einem „Altleser“ wie mir noch das Gefühl einer Neuentdeckung gegeben hat.
Mit dieser Edition ist SCHLACHTHOF 5 für die nächsten Lesergenerationen bereit.
Horst Illmer
Kurt Vonnegut
SCHLACHTHOF 5 ODER DER KINDERKREUZZUG. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Gregor Hens
(Slaughterhouse-Five or The Children’s Crusade / 1969)
Hamburg, Hoffmann und Campe, 2016, 240 S.
ISBN 978-3-455-40555-2 / 24,00 Euro
Es gibt sie, gottseidank, diese Bücher, die mir immer wieder in die Hände fallen und dann sehr eindringlich darauf hinweisen, dass ich sie, gefälligst, doch endlich wieder einmal lesen sollte.
Eines dieser aufdringlichen Dinger ist Kurt Vonneguts Roman SCHLACHTHOF 5.
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Leben ohne Ende
von Horst Illmer am 10. August 2016 1 Kommentar
George R. Stewart
LEBEN OHNE ENDE. Roman.
Übersetzt von Ernst Sander, neu durchgesehen und überarbeitet von Alexander Martin.
Mit einem Anhang von Uwe Neuhold.
(Earth Abides / 1949)
München, Heyne, 2016, 527 Seiten
ISBN 978-3-453-31436-8
Endlich!
Das lange Warten hat ein Ende. Jetzt kann man (in diesem Fall der Rezensent und der Buchhändler seines Vertrauens) ENDLICH wieder einen der wichtigsten und besten Science-Fiction-Romane aller Zeiten empfehlen, ohne hinzufügen zu müssen: Leider seit langem nicht mehr erhältlich. Der Heyne Verlag hat soeben in seiner Reihe „Meisterwerke der Science-Fiction“ den Roman LEBEN OHNE ENDE von George R. Stewart in einer von Alexander Martin sehr gut überarbeiteten Neuausgabe veröffentlicht.
In einer nicht allzu fernen Zukunft vernichtet eine mysteriöse Seuche den größten Teil der Menschheit. Einige wenige Individuen überleben und müssen sich in den Trümmern der Zivilisation neu einrichten. LEBEN OHNE ENDE erzählt von den Geschicken einer Gruppe, die sich in Kalifornien, in der Gegend von San Francisco, zusammenfindet. Während man anfangs noch versucht, die zivilisatorischen und kulturellen Regeln zu beachten, zeigt sich jedoch bald, dass der bloße Überlebenskampf keine Zeit lässt für soziale und humanistische Gefühlsduselei.
Der Protagonist Isherwood Williams, genannt Ish, ein kultivierter junger Student, schlägt sich durch diese schlimme Zeit, findet neue Freunde, zeugt Kinder mit einer der wenigen Mitüberlebenden und muss mit ansehen, wie die Welt, wie er sie kannte, im Dunkel versinkt.
Nach einem bedauernden Blick auf die Millionen Bände der Universitätsbibliothek, die während eines kalten Winters als Feuerung dienen, übernimmt Ish die Aufgabe, wenigstens Rudimente des zivilisatorischen Wissens zu bewahren und über das Erzählen von Geschichten und praktische Anleitungen (zum Beispiel wie man Pfeil und Bogen herstellt) an die Jungen weiterzugeben.
Er lebt lange genug, um die ersten Formen einer neuen, naturverbundenen Gesellschaft zu erleben. Ihm selbst bleibt es nicht erspart, von seinen eigenen Leuten zu einem Halbgott erhoben zu werden, der letztlich in der Folklore weiterleben wird. Denn das menschliche Leben entwickelt sich langsam wieder hin zu Religion, Kultur und Zivilisation.
Aus der Vielzahl von Nachkatastrophen-Romanen, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen, ragt George Stewarts Buch vor allem durch seinen ruhigen und klaren Erzählstil heraus. Seine abgeklärte, kompetente Sicht auf den Menschen in einer solchen Ausnahmesituation, stellt den Roman in eine Reihe mit klassischen Werken wie Jack Londons DIE SCHARLACHPEST und John Wyndhams DIE TRIFFIDS, die bis hin zu modernen Beispielen wie Cormac McCarthys DIE STRASSE oder Margaret Atwoods ORYX UND CRAKE reicht.
In einem ausführlichen Nachwort beschäftigt sich Uwe Neuhold nicht nur mit der genretypischen „Lust an der Apokalypse“, sondern auch mit den Möglichkeiten einer „Superseuche und dem Leben danach“.
Horst Illmer
George R. Stewart
LEBEN OHNE ENDE. Roman.
Übersetzt von Ernst Sander, neu durchgesehen und überarbeitet von Alexander Martin.
Mit einem Anhang von Uwe Neuhold.
(Earth Abides / 1949)
München, Heyne, 2016, 527 Seiten
ISBN 978-3-453-31436-8
Endlich!
Das lange Warten hat ein Ende. Jetzt kann man (in diesem Fall der Rezensent und der Buchhändler seines Vertrauens) ENDLICH wieder einen der wichtigsten und besten Science-Fiction-Romane aller Zeiten empfehlen, ohne hinzufügen zu müssen: Leider seit langem nicht mehr erhältlich.
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Camp Ausgabe 2
von Horst Illmer am 29. Juli 2016 Kommentare deaktiviert für Camp Ausgabe 2
CAMP – Ausgabe 2 / 2016
Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur
Edition Alfons im Verlag Volker Hamann
(Keine ISBN) VK 15,00 Euro
Im Mai 2016, gerade rechtzeitig zum Erlangener Comic Salon, ist die neueste, langerwartete Nummer 2 von CAMP erschienen. Wie sich bereits in der hervorragenden ersten Ausgabe abzeichnete, entwickelt sich CAMP zu einem unverzichtbaren Übersichtswerk, in dem nicht nur Nostalgiker eine herrlich breitgestreute Berichterstattung über die ungeheure Vielfalt vorfinden, die sich im Dreieck von „Comic, Illustration und Trivialkultur“ in den letzten einhundert Jahren ausgeprägt hat.
Die Herausgeber Volker Hamann und Matthias Hofmann sorgen für die Kontinuität, viele bekannte und neugewonnene Beiträger für die Qualität der Artikel – und das preiswürdige Layout macht den Leser/Betrachter vom ersten Aufschlagen des Heftes an staunen ob solcher Schönheit. Egal ob es sich um die Bilderstrecken über den englischen Cover-Künstler Bruce Pennington oder die Berliner Designerin und Illustratorin Ilse Wende-Lungershausen handelt, oder „nur“ um die luftig mit viel Freiflächen gestalteten Artikel über den Kolportageautor Robert Kraft (von Heinz J. Galle), die derzeitige Pippi-Langstrumpf-Rezeption (von Mechthild Wiesner), die erste US-amerikanische Science-Fiction-Fantruppe der „Futurians“ (von Matthias Hofmann) oder die, intime Kenntnisse verratenden Essays über Comic-Legenden wie „Turok“ (von Alberto Becattini), „Häuptling Feuerauge“ (von Daniel Wamsler) und „Krazy Cat“ (von Jeet Heer), immer blättert man zuerst begeistert ein paar Seiten weiter, bevor man sich zur Lektüre zum Anfang zurück bequemt.
Für Kunden und Freunde der ROMAN-BOUTIQUE enthält das Heft noch ein ganz besonderes „Zuckerchen“ in Form eines Artikels über Science-Fiction-Altmeister Theodore Sturgeon, der seinen Beginn in einer von Hermkes Wühlkisten nimmt …
Zwischen den Heften 1 und 2 lagen zwei Jahre – die überbordente Menge an interessantem Lese- und Anschau-Material in Ausgabe 2 würde vermutlich auch wieder für zwei Jahre reichen, die Gier nach mehr solch toller Geschichten über den Stoff, der unser Herz erwärmt, lässt jedoch auf eine schnellere Veröffentlichungsfrequenz hoffen.
Horst Illmer
CAMP – Ausgabe 2 / 2016
Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur
Edition Alfons im Verlag Volker Hamann
(Keine ISBN) VK 15,00 Euro
Im Mai 2016, gerade rechtzeitig zum Erlangener Comic Salon, ist die neueste, langerwartete Nummer 2 von CAMP erschienen. Wie sich bereits in der hervorragenden ersten Ausgabe abzeichnete, entwickelt sich CAMP zu einem unverzichtbaren Übersichtswerk, in dem nicht nur Nostalgiker eine herrlich breitgestreute Berichterstattung über die ungeheure Vielfalt vorfinden, die sich im Dreieck von „Comic,
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Science Fiction Hall of Fame
von Horst Illmer am 18. Juli 2016 Kommentare deaktiviert für Science Fiction Hall of Fame
Robert Silverberg (Hrsg.)
SCIENCE FICTION HALL OF FAME – DIE BESTEN STORYS 1934 – 1948.
Ü: Yoma Cap, u. a., Vorwort: Robert Silverberg
(The Science Fiction Hall of Fame, Volume One, 1929 – 1964 / 1970)
Berlin, Golkonda, 2016, 405 S.
ISBN 978-3-944750-55-5
Die letzten Wochen, und da vor allem die Beschäftigung mit den Story-Bänden von Theodore Sturgeon, haben mich davon überzeugt, dass ich unbedingt stärker auf das Erscheinen von Kurzgeschichtenbänden hinweisen muss, da diese unverzichtbare Basis der Science Fiction leider allzu sehr vernachlässigt wird – auch und gerade von uns Lesern.
Also los, auf geht’s in die ROMAN-BOUTIQUE und dort schauen wir mal in die von Robert Silverberg herausgegebene Anthologie SCIENCE FICTION HALL OF FAME – DIE BESTEN STORYS 1934–1948 (Golkonda, ISBN 978-3-944720-55-5, 400 Seiten, Klappenbroschur).
Enthalten sind, neben Silverbergs Vorwort, zwölf der besten SF-Kurzgeschichten, die jemals geschrieben wurden. (Aus)gewählt wurden die Stories 1969 von den Mitgliedern der Science Fiction Writers of America (SFWA), die damit dem Publikum eine echte „Basis-Bibliothek“ an die Hand geben wollten. Es handelt sich bei dem Golkonda-Band um den ersten Teil der umfangreichen Originalausgabe (der zweite Teil folgt im Herbst 2016), die insgesamt 26 Erzählungen aus den Jahren 1934 bis 1963 enthält.
Mit dabei in diesem ersten Teil ist praktisch alles, was in der Science Fiction Rang und Namen hat (u. a. Isaac Asimov, Fredric Brown, A. E. van Vogt, Stanley G. Weinbaum Clifford D. Simak, Robert A. Heinlein und – natürlich – Theodore Sturgeon) und jede einzelne Geschichte wäre den Erwerb dieses Buches wert. Vorbildliches leistet Golkonda in den Details: Die teilweise bereits vorhandenen Übersetzungen wurden nochmals durchgesehen und sehr viel Mühe steckt auch in den Quellenangaben zu den Erstveröffentlichungen.
Unverzichtbar!
Horst Illmer
Robert Silverberg (Hrsg.)
SCIENCE FICTION HALL OF FAME – DIE BESTEN STORYS 1934 – 1948.
Ü: Yoma Cap, u. a., Vorwort: Robert Silverberg
(The Science Fiction Hall of Fame, Volume One, 1929 – 1964 / 1970)
Berlin, Golkonda, 2016, 405 S.
ISBN 978-3-944750-55-5
Die letzten Wochen, und da vor allem die Beschäftigung mit den Story-Bänden von Theodore Sturgeon, haben mich davon überzeugt, dass ich unbedingt stärker auf das Erscheinen von Kurzgeschichtenbänden hinweisen muss,
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Tripods – Die dreibeinigen Herrscher
von Horst Illmer am 9. April 2016 1 Kommentar
John Christopher
TRIPODS – DIE DREIBEINIGEN HERRSCHER.
Ü: Wolfgang Schaller & Sabine Rahn
(The Tripods / 2003)
Paperback
München Piper, 2016, 736 S.
ISBN 978-3-492-70349-9 / 20.- Euro
Hardcover, illustriert von Timo Wuerz
Ludwigsburg, cross cult, 2016, 800 S.
ISBN 978-3-86425-841-1 / 39.- Euro
Es gibt wohl nur wenige Science-Fiction-Titel, die einen größeren Einfluss auf die jugendlichen Leser der Vor-Harry Potter-Generationen hatten, als die Coming-of-Age-Romane von John Christopher und hier vor allem seine Trilogie um die DREIBIENIGEN MONSTER, die von 1971 an im Würzburger Arena Verlag auch auf Deutsch vorlagen. Dabei verdankt es sich nur einem glücklichen Zufall, dass der englische Schriftsteller Christopher S. Youd (1922 – 2012) nach mehr als dreißig Büchern für Erwachsene zum Jugendbuchautor wurde. Die Anfrage eines Kinderbuchverlags versprach Erholung vom harten Alltag eines freien Schriftstellers und schnelles Geld. So jedenfalls dachte sich Youd (der unter dem Pseudonym John Christopher bereits einige erfolgreiche Science-Fiction-Titel geschrieben hatte) das, bis zu dem Moment, als sein Manuskript mit der Bitte um Überarbeitung zurückgeschickt wurde. Der klugen und mutigen Lektorin verdanken wir es also, dass John Christopher dann die sorgfältig ausgearbeitete Trilogie THE WHITE MOUNTAINS (1967), THE CITY OF GOLD AND LEAD (1967) und THE POOL OF FIRE (1968) schrieb, die ihn zu einem der beliebtesten Jugendbuchautoren Englands machte.
Die Geschichte spielt in einer Zukunftswelt, in der die Menschheit seit vielen Jahren von außerirdischen Besatzern beherrscht wird. Die menschliche Zivilisation ist auf die Stufe des Mittelalters zurückgefallen und Widerstand scheint nicht möglich zu sein, da alle Erwachsenen mittels einer technischen Vorrichtung einer Gedankenkontrolle durch die dreibeinigen Herrscher unterliegen. Doch eine kleine Gruppe von Jugendlichen beschließt, in die Wildnis zu fliehen und von dort aus gegen die Besatzer zu kämpfen.
Nachdem die BBC in den 1980er Jahren eine TV-Serie nach Motiven der TRIPODS-Reihe lancierte, schrieb Christopher 1988 mit WHEN THE TRIPODS CAME einen Roman, in dem er in unsere Gegenwart „zurückkehrte“ und die Vorgeschichte der Invasion erzählte. Im Jahr 2006 veröffentlichte Arena erstmals alle vier Romane (DREIBEINIGE MONSTER AUF ERDKURS, DAS GEHEIMNIS DER DREIBEINIGEN MONSTER, DER UNTERGANG DER DREIBEINIGEN MONSTER und DIE ANKUNFT DER DREIBEINIGEN MONSTER) in einem einheitlichen Look.
2016 schlossen sich die Verlage Piper und cross cult zusammen und veröffentlichten die komplette Saga in einem Band unter dem Titel TRIPODS – DIE DREIBEINIGEN HERRSCHER. Bei Piper übernahm man mit einem 730-Seiten-Paperback den Massenmarkt, während cross cult eine auf 1.444 Exemplare limitierte großformatige Hardcover-Edition (mit Schutzumschlag und Lesebändchen!) herausbrachte, die auf 800 Seiten zudem sechzig Illustrationen von Timo Wuerz beinhaltet. Dieser ansonsten wunderschönen Gesamtausgabe fehlt eigentlich nur ein Inhaltsverzeichnis und auch auf die vier Vorworte des Autors zu seinen Romanen hätte man sich einen kleinen Hinweis gönnen dürfen. Ist hiermit nachgeholt.
Horst Illmer
John Christopher
TRIPODS – DIE DREIBEINIGEN HERRSCHER.
Ü: Wolfgang Schaller & Sabine Rahn
(The Tripods / 2003)
Paperback
München Piper, 2016, 736 S.
ISBN 978-3-492-70349-9 / 20.- Euro
Hardcover, illustriert von Timo Wuerz
Ludwigsburg, cross cult, 2016, 800 S.
ISBN 978-3-86425-841-1 / 39.- Euro
Es gibt wohl nur wenige Science-Fiction-Titel, die einen größeren Einfluss auf die jugendlichen Leser der Vor-Harry Potter-Generationen hatten, als die Coming-of-Age-Romane von John Christopher und hier vor allem seine Trilogie um die DREIBIENIGEN MONSTER,
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Eine Buchhandlung auf Reisen
von Horst Illmer am 3. April 2016 Kommentare deaktiviert für Eine Buchhandlung auf Reisen
Christopher Morley
EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN. Roman.
Ü: Felix Horst
(Parnassus on Wheels / 1917)
Hamburg, Atlantik, 2015, 191 S.
ISBN 978-3-455-60023-0
„Keine Kreatur auf Erde hat das Recht, sich für ein menschliches Wesen zu halten, wenn sie nicht mindestens ein gutes Buch kennt.“ (S. 65)
Vermutlich ist der Traum vom Aussteigen genauso alt wie die menschliche Zivilisation. Wenn man eingebunden ist in einen Alltag, in den Trott des ständig Wiederkehrenden, dann ist es wohl ganz normal, einmal etwas ganz anderes machen zu wollen. Und wenn dieses „Andere“ daherkommt, ganz unverhofft, in Form eines Handlungsreisenden in Büchern, der seinen 1-PS-Bücherwagen verkaufen will, dann muss eine Frau wie Helen McGill einfach zugreifen.
Mehr als fünfzehn Jahre hat sie die Farm ihres Bruders Andrew in Schuss gehalten, mehr als 6000 Laib Brot gebacken, einige zehntausend Eier aus den Gelegen ihrer Hühner genommen und viele einsame Abende allein verbracht, während Andrew, der inzwischen ein erfolgreicher Schriftsteller wurde, sich in der Weltgeschichte rumtrieb. Genug ist einfach genug! Also beschließt sie kurzerhand, ihre Ersparnisse in Roger Mifflins „Parnassus“ zu investieren, einmal ordentlich Urlaub zu machen, mit der Reisbuchhandlung hinter sich und dem guten Pegasus im Geschirr loszufahren und es ihrem Bruder einmal so richtig zu zeigen.
Der 1917 erstmals erschienene Roman von Christopher Morley spielt kurz nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Viel Arbeit auf den Farmen, wenig Möglichkeiten außerhalb der kirchlichen Veranstaltungen Zerstreuung zu finden, Bibliotheken und Buchhandlungen nur in den größeren Städten, die man in Ermangelung von Automobilen jedoch kaum erreicht – da ist selbst ein Buchverkäufer eine gern gesehene Abwechslung.
Besonders für Frauen bot die damalige Zeit noch kaum Chancen auf etwas Eigenständigkeit. Umso mutiger und liebenswerter erscheint da das Bild, das Morley von seiner Ich-Erzählerin Helen entwirft: Sie ist nicht nur eine tüchtige Hausfrau, sondern auch eine Realistin und Pragmatikerin. Ihre Liebe zur Literatur ist nur rudimentär vorhanden, die Eloquenz mit der Mister Mifflin in allen Bereichen der Weltliteratur brilliert, fehlt ihr – noch – völlig. Aber sie hat einen wachen Geist, ist bereit, etwas Neues auszuprobieren und fühlt sich trotz ihrer vierzig Lebensjahre und einiger Pfund zu viel auf den Hüften immer noch rüstig genug für einen romantischen Ausflug.
Natürlich kann der „Professor“, wie Roger Mifflin von seinen Stammkunden genannt wird, die tapfere Miss McGill nicht ohne eine richtige Einweisung in das Buchhandelsgeschäft losfahren lassen, und so bleibt er für einige Tage als ihr Mentor und Lehrmeister an ihrer Seite. Und innerhalb kürzester Zeit entdeckt Helen nicht nur, dass Bücherverkaufen ein nicht ganz ungefährlicher Beruf ist, sondern auch, dass es mit dem rotgesichtigen, wieselflinken und mutigen Roger Mifflin zusammen doch viel mehr Spaß macht als alleine.
Aus jeder Zeile dieses schmalen Büchleins schimmert die Liebe des Autors zu seinen Figuren, zu den Büchern und zu seiner Heimat hervor, eingerahmt von einer profunden Kenntnis der Literatur und mehr als nur einer Prise Humor. EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN bietet genau das, wovon wir alle mehr oder weniger heimlich träumen: einen kurzweiligen und federleichten Ausstieg aus unserem Alltag.
Horst Illmer
Christopher Morley
EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN. Roman.
Ü: Felix Horst
(Parnassus on Wheels / 1917)
Hamburg, Atlantik, 2015, 191 S.
ISBN 978-3-455-60023-0
„Keine Kreatur auf Erde hat das Recht, sich für ein menschliches Wesen zu halten, wenn sie nicht mindestens ein gutes Buch kennt.“ (S. 65)
Vermutlich ist der Traum vom Aussteigen genauso alt wie die menschliche Zivilisation. Wenn man eingebunden ist in einen Alltag, in den Trott des ständig Wiederkehrenden,
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Die Mission
von Horst Illmer am 17. März 2016 Kommentare deaktiviert für Die Mission
Ann Leckie
DIE MISSION. Ein Roman aus der fernen Zukunft.
Ü: Bernhard Kempen
München, Heyne, 2016, 477 S.
ISBN 978-3-453-31693-5
Nachdem die vom ehemaligen Kampf-Raumschiff zur Hilfseinheiten-Androidin »geschrumpfte« Breq ihre Streitigkeiten mit der Radch-Imperiatrix Anaander Mianaai beendet (oder zumindest zurückgestellt) hat, wird sie von dieser mit dem Rang einer Flottenkapitänin und dem Kommando über ein eigenes Schiff belohnt. Da die Kämpfe und Intrigen, in welche die Herrscherin mit einigen ihrer vielen geklonten Selbst verwickelt ist, weiter andauern, fliegt Breq mit ihrer Gnade der Kalr in ein unbedeutendes Randsystem des Radchaai-Imperiums, um dort für die Sicherheit der Schwester ihrer verstorbenen Geliebten zu sorgen. Allerdings entwickeln die Dinge im Athoek-System sich anders als geplant – und am Ende könnte das Schicksal des ganzen Imperiums sich in dieser abseits gelegenen Grenzregion entscheiden …
Ann Leckie schafft es hervorragend, dass DIE MISSION sich wie eine nahtlose Fortsetzung zu ihrem hochgepriesenen Erstling DIE MASCHINEN liest und nicht wie einer jener lieblosen Lückenfüller, die sonst häufig den Mittelteil einer Trilogie bilden. Außerdem gewinnt die Leserin den Eindruck, dass die Autorin sich inzwischen ihres Stils noch sicherer geworden ist. Die durchgängig weibliche Sicht alles Geschehens wirkt konsequent und schlüssig, die Szenen, in denen die Heldin mit einem Volk zusammentrifft, in der Geschlechtszuschreibungen üblich sind, zeigen in humorvoller Weise, welche Unsicherheiten dies bei der eigentlich »überlegenen« Breq hervorruft: Ist die »Schwester« einer Attentäterin nicht doch als ihr »Bruder« zu bezeichnen – und welche Irritationen entstehen dadurch im Bewusstsein der »Unisex«-Soldatinnen, die sich mit dieser Person befassen müssen.
Gerade in Bezug auf die gegenwärtig sehr virulente Diskussion über Geschlechtszugehörigkeiten und (Trans-)Gender-Unsicherheiten stellt Leckies außergewöhnliche ANCILLERY-Trilogie eine sehr eigenständige und entschiedene Meinungsäußerung dar.
Bereits vor Erscheinen des dritten Teils wage ich die Prognose, dass diese Romane später einmal ähnlich weit über den Genre-Tellerrand hinausragen werden wie z. B. William Gibsons NEUROMANCER, dessen Cyberpunk-Terminologie ja inzwischen auch schon im Kollektivbewusstsein verankert ist.
Horst Illmer
Ann Leckie
DIE MISSION. Ein Roman aus der fernen Zukunft.
Ü: Bernhard Kempen
München, Heyne, 2016, 477 S.
ISBN 978-3-453-31693-5
Nachdem die vom ehemaligen Kampf-Raumschiff zur Hilfseinheiten-Androidin »geschrumpfte« Breq ihre Streitigkeiten mit der Radch-Imperiatrix Anaander Mianaai beendet (oder zumindest zurückgestellt) hat, wird sie von dieser mit dem Rang einer Flottenkapitänin und dem Kommando über ein eigenes Schiff belohnt. Da die Kämpfe und Intrigen, in welche die Herrscherin mit einigen ihrer vielen geklonten Selbst verwickelt ist,
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Amalthea
von Horst Illmer am 14. Januar 2016 Kommentare deaktiviert für Amalthea
Neal Stephenson
Amalthea. Roman.
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl
Mit Illustrationen
(Seveneves / 2015)
München, Manhattan, 2015, 1056 Seiten
ISBN 978-3-442-54762-3
Was wird die Menschheit tun, wenn in einigen Wochen, Monaten oder Jahren der Mond ohne erkennbaren Grund auseinanderbricht? Und was werden die Nachkommen, so es denn welche gibt, in 5000 Jahren noch von ihren Vorfahren wissen (wollen)? Hört sich spannend an, und wer, wenn nicht Neal Stephenson könnte diese Geschichte auf eine Weise erzählen, die gleichermaßen objektiv stimmig ist und unter die Haut geht?! AMALTHEA zeigt den US-amerikanischen Autor auf dem Zenit seiner Fabulierkunst und das von ihm diesmal gewählte Thema wird jeden, der bereit ist, sich auf Stephensons Erzählung einzulassen, bis ins Mark erschüttern.
AMALTHEA startet mit einem Paukenschlag: „Der Mond explodierte ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund. Er war im Zunehmen, zum Vollmond fehlte nur ein Tag. Später würde man [die Zeit] als A+0.0.0 oder schlicht Null bezeichnen.“ (S.9) Wobei „Explosion“ für das Zerbrechen unseres Trabanten in sieben große und eine Vielzahl kleinerer Brocken, die weiterhin auf der Mondbahn um die Erde ziehen, erst einmal ein fast zu starkes Wort ist. Allerdings wird bald klar, dass die Naturgesetze (Gravitation) und die Mathematik (Statistik) nicht wirklich auf Seiten des Homo sapiens stehen. Es bedarf schon eines – wirklich gewaltigen – Planes, um dem Versuch einer Rettung wenigstens einer kleinen Zahl von Menschen auch nur eine geringe Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Etwa zwei Drittel des Buches widmet sich Stephenson der Entwicklung und Ausführung dieses Masterplans – und er beschreibt das Geschehen in diesen wenigen, aber alles entscheidenden Jahren so intensiv, dass man selbst als astronomischer Laie und naturwissenschaftlich eher unterinformierter Normalsterblicher plötzlich mit Begriffen wie „Delta V“, „Mikrogravitation“ oder „Perihel“ vertraut ist. Zugleich fiebert man förmlich mit, wenn wieder eine überraschende Wendung eintritt, ein Manöver schief geht, eine schon aufgegebene Hoffnung sich doch noch erfüllt. Am Ende sind es dann die – für die Originalausgabe titelgebenden – sieben Evas, also sieben Frauen im gebärfähigen Alter, die über die Zukunft der Menschheit entscheiden.
Es spricht schon sehr für den Mut und das Selbstbewusstsein Neal Stephensons, dass er an dieser Stelle den Roman nicht abbricht, sondern einen 5000-Jahre-Sprung wagt und weiter erzählt, wie sich diese Entscheidungen der Urmütter auswirkten, was ihre Nachkommen aus dem Wenigen machten, das über die Zeit gerettet werden konnte. Und es spricht fast noch mehr für den Autor, dass er sich daran macht, eine Utopie zu entwerfen, eine – trotz aller dem Menschen anhaftenden Schwächen – positive Wendung herbeizusehnen und sich ihre Grundlagen vorzustellen.
Die Visionen, die Stephenson im Schlussteil seiner Erzählung vor unser inneres Auge zu holen versteht, gehören zu den großartigsten und eindrücklichsten in der nunmehr auch schon zweihundert Jahre alten Geschichte der Science-Fiction-Literatur.
Ein Wort noch zur Aufmachung: AMALTHEA bietet auf den ersten Blick das für Stephenson-Bücher gewohnte Großformat, ein Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, und ist 1056 Seiten stark. Zur besseren Orientierung findet man auf den Vorsätzen zwei Riss-Zeichnungen (was an die PERRY RHODAN-Silberbände erinnert), mit denen die technischen Beschreibungen diverser Raumfahrzeuge aus dem Buch ergänzt werden, zudem gibt es nach Seite 704 noch eine Farbtafel, welche die Abstammung und Aufteilung der zukünftigen Menschheit übersichtlich macht. (Leider wurde hier bei der Bildlegende gepfuscht, weshalb die Zuordnung der Völker zu den Farben der Habitate zu zwei Dritteln nicht stimmt. Hoffen wir auf einen Errata-Zettel des Verlags und eine Korrektur bei der nächsten Auflage. Hier schon mal vorab inoffizielles Blatt von mir. Berichtigung zu Stephenson Amalthea Ringbild)
Man sollte ja vorsichtig sein mit solchen Zuschreibungen, aber in diesem Fall wage ich es doch, mich soweit vorzuwagen: Dieses Buch gehört in jede Science-Fiction-Sammlung – es hat das Potenzial zum Klassiker!
Horst Illmer
Neal Stephenson
Amalthea. Roman.
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl
Mit Illustrationen
(Seveneves / 2015)
München, Manhattan, 2015, 1056 Seiten
ISBN 978-3-442-54762-3
Was wird die Menschheit tun, wenn in einigen Wochen, Monaten oder Jahren der Mond ohne erkennbaren Grund auseinanderbricht? Und was werden die Nachkommen, so es denn welche gibt, in 5000 Jahren noch von ihren Vorfahren wissen (wollen)? Hört sich spannend an, und wer, wenn nicht Neal Stephenson könnte diese Geschichte auf eine Weise erzählen,
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Dunkle Stadt Bohane
von Horst Illmer am 30. Dezember 2015 Kommentare deaktiviert für Dunkle Stadt Bohane
Kevin Barry
DUNKLE STADT BOHANE. Roman.
Ü & Nachbemerkung: Bernhard Robben; Nachwort des Autors
(City of Bohane / 2011)
Stuttgart, Tropen, 2015, 304 S.
ISBN 978-3-608-50145-2
Es ist eine ausgesprochene Männerwelt, dieses Bohane, das eine geteilte, zersplitterte Stadt irgendwie am Ende der Welt ist, einer Welt, die sich um die internen Machtspiele und uralten Zwiste der urbanen Clans und Gangs ebensowenig schert wie um die Korruption der Kommunalpolitiker oder die Riten und Bräuche der Ödlandbewohner, die zwischen Sumpf und Meer ihr Dasein fristen. Und doch dreht sich alles um die Frauen. Egal ob der Anführer der Hartnett-Fancy-Gang täglich bei seiner Mutter vorspricht und deren Rat einholt, oder ob der ins Exil vertriebene Ex-Boss Gant Broderick nur noch einmal seine ehemalige Flamme wiedersehen will – und vor allem egal, wer von den Burschen glaubt, er sei der Kronprinz und der natürliche Nachfolger in der langen Reihe der Könige der Unterwelt –, es ist immer eine Missus, eine Lady oder ein Girl, das den Burschen zeigt, wo’s langgeht.
Kevin Barry erzählt von einem der Wendepunkte in der Geschichte der dunklen Stadt Bohane, von einer Schicksalsvolte wie es sie immer gab und immer wieder geben wird, vom Wechsel der Generationen, der Geschlechter, der Anführer und ihrer Gefolgschaft. Dabei bleibt er nahe bei seinen Protagonisten, bringt ihre Motive, Gefühle und Ansichten glaubwürdig und wortmächtig zum Klingen und spielt ein so souveränes Spiel mit der Sprache (wie man sie in der Gosse, unter Ganoven, in Kneipen und Hurenhäusern, bei Stadtratssitzungen oder im trauten Heim spricht) wie es nur selten einem Gegenwartsautor noch gelingt.
Doch ach, Mister Barry, Sie sind ein Schlawiner, ein Hallodri, ein Lumpazi!
Na, ist doch wahr! Da macht man sich als Rezensent über dreihundert Seiten hinweg begeistert Notizen, freut sich über spontane Einfälle und knackige Formulierungen, mit denen man das soeben Gelesene kritisch-reflektierend in Form einer Buchbesprechung als Leseempfehlung an die nach guten Büchern Hungernden weiterreichen möchte – und dann das: Nach dem Ende des wirklich lesenswerten Romans über die Herrschafts- und Machtstrukturen einer irischen Stadt in der Mitte des 21. Jahrhunderts, kann sich der Autor nicht bremsen und liefert in einem Nachwort gleichzeitig eine Lobeshymne und viele erhellende Erklärungen zu seinem eigenen Text ab und nimmt damit dem Rezensenten praktisch jede Möglichkeit noch irgendwie originell zu erscheinen.
Grummel, knurr, maul ….
Deshalb an dieser Stelle also nur noch die dringende Empfehlung an alle Freunde des guten Buches: Lest DUNKLE STADT BOHANE und geniest den großartigen, stilistisch einzigartigen Roman eines jungen irischen Autors – aber denkt gut darüber nach, ob ihr angesichts dieser treffsicheren und überzeugenden Besprechung tatsächlich noch ein Nachwort und eine Nachbemerkung des Übersetzers benötigt.
Horst Illmer
Kevin Barry
DUNKLE STADT BOHANE. Roman.
Ü & Nachbemerkung: Bernhard Robben; Nachwort des Autors
(City of Bohane / 2011)
Stuttgart, Tropen, 2015, 304 S.
ISBN 978-3-608-50145-2
Es ist eine ausgesprochene Männerwelt, dieses Bohane, das eine geteilte, zersplitterte Stadt irgendwie am Ende der Welt ist, einer Welt, die sich um die internen Machtspiele und uralten Zwiste der urbanen Clans und Gangs ebensowenig schert wie um die Korruption der Kommunalpolitiker oder die Riten und Bräuche der Ödlandbewohner,
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Der kleine Prinz
von Horst Illmer am 20. Dezember 2015 Kommentare deaktiviert für Der kleine Prinz
Antoine de Saint-Exupéry
DER KLEINE PRINZ.
(Le Petit Prince / 1946)
Übersetzt von Peter Sloterdijk
Illustriert von Nicolas Mahler
Berlin, Insel Verlag, 2015, 107 S.
Insel-Bücherei Band 2017, Fester Einband
ISBN 978-3-458-20017-8
Es war vermutlich die wichtigste Entscheidung, die der Verleger Karl Rauch jemals getroffen hat, als er 1950 den Vertrag für die deutsche Ausgabe des französischen Kinderbuchs LE PETIT PRINCE unterzeichnete. Geschrieben hatte das 1946 posthum veröffentlichte Trostbüchlein der Flugpionier Antoine de Saint Exupéry (1900 – 1944) im New Yorker Exil für einen im besetzten Frankreich zurückgebliebenen Freund. Die deutsche Ausgabe die unter dem Titel DER KLEINE PRINZ in der Übersetzung von Grete und Josef Leitgeb erschien, wurde, ähnlich wie überall sonst auf der Welt, ein gleichermaßen Long- wie Bestseller. Bis zum Jahr 2000 verkaufte man alleine hierzulande mehr als sieben Millionen Exemplare.
Damit gehört die – vom Autor auch noch liebevoll illustrierte – Geschichte um den kleinen blonden Jungen vom Asteroiden B 612, der auf der Suche nach Antworten durchs Weltall zieht, inzwischen zum Allgemeingut, ist ins kollektive Gedächtnis eingegangen, und einzelne Sätze daraus wurden zu geflügelten Worten.
Antoine de Saint-Exupéry
DER KLEINE PRINZ.
(Le Petit Prince / 1946)
Übersetzt von Peter Sloterdijk
Illustriert von Nicolas Mahler
Berlin, Insel Verlag, 2015, 107 S.
Insel-Bücherei Band 2017, Fester Einband
ISBN 978-3-458-20017-8
Es war vermutlich die wichtigste Entscheidung, die der Verleger Karl Rauch jemals getroffen hat, als er 1950 den Vertrag für die deutsche Ausgabe des französischen Kinderbuchs LE PETIT PRINCE unterzeichnete. Geschrieben hatte das 1946 posthum veröffentlichte Trostbüchlein der Flugpionier Antoine de Saint Exupéry (1900 – 1944) im New Yorker Exil für einen im besetzten Frankreich zurückgebliebenen Freund.
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Das Haus der vergessenen Bücher
von Horst Illmer am 18. Dezember 2015 Kommentare deaktiviert für Das Haus der vergessenen Bücher
Christopher Morley
DAS HAUS DER VERGESSENEN BÜCHER. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann
(The Haunted Bookshop / 1919)
Hamburg, Atlantik bei Hoffmann & Campe, 2014, 255 S.
ISBN 978-3-455-60012-4
Wie in jeder gut geführten Bibliothek gibt es auch in meiner Sammlung verschiedene Abteilungen und Unter-Sparten, in die frisch eingehende Bücher einsortiert werden. Je kleiner eine solche Unterabteilung ist, desto wertvoller sind normalerweise die darin eingestellten Werke. Wobei sich „wertvoll“ nicht nur nach dem Alter oder Preis bemisst, sondern auch im Sinne von „besonders gut“ oder „hervorragend durch Inhalt und/oder Stil“ gemeint sein kann.
Was uns nun endlich zu jenem Buch führt, das hier vorgestellt werden soll: Es handelt sich um ein etwas aus der Zeit gefallenes Stück Literatur, ist THE HAUNTED BOOKSHOP doch bereits 1919 in den Vereinigten Staaten erschienen und sein Autor Christopher Morley (1890 – 1957) auch schon länger tot als ich diesen Planeten bewohne. Umso erstaunlicher also, dass jemand im Verlag Hoffmann & Campe (der für die Atlantik-Bücher verantwortlich zeichnet) der Meinung war, diesen Roman 2014 erstmals dem deutschen Publikum präsentieren zu wollen. (Noch mehr verwundert dies, wenn man herausgefunden hat, dass es sich um den zweiten Band einer bereits 1917 begonnenen Folge von Geschichten handelt.)
Im Großen und Ganzen geht es in DAS HAUS DER VERGESSENEN BÜCHER jedoch um ein Sujet, das als „zeitlos“ gelten kann, nämlich die Liebe zu Büchern.
Roger Mifflin ist, gemeinsam mit seiner Gattin Helen, Inhaber der Buchhandlung Parnassus in Brooklyn. Es handelt sich dabei um ein Antiquariat und wenn der Buchhändler von einem seiner Prachtstücke besonders angetan ist, so kann es durchaus passieren, dass er dessen Verkauf schlichtweg verweigert. Trotzdem fühlt man sich schon beim ersten Betreten des Ladens heimisch, gleich nachdem man an dem Schild vorbeigekommen ist, auf dem die „Warnung“ steht:
IN DIESEM GESCHÄFT SPUKT ES
und man eintaucht in den gedämpften Schein der spärlichen Beleuchtung und den unvergleichlichen Geruch, der von alten Büchern, Pfeifentabak und Staub ausgeht.
Wenngleich der jugendlich-dynamische Werbefachmann Aubrey Gilbert bei seinem ersten Besuch noch leise Zweifel hegt, erfährt er hier doch innerhalb weniger Tage soviel merkwürdige Dinge und „Verzauberung“, dass er fast schon bereit ist, an Spuk und Gespenster zu glauben. Daran nicht ganz unschuldig sind ein altes Buch, das immer wieder verschwindet und unerwartet irgendwo auftaucht – und die strahlend blauen Augen des Lehrmädchens Titania Chapman.
Am Ende dieser wundervoll leichten Komödie (wenngleich zwischendurch auch mal Spione und Attentäter zum Tanz antreten) steht natürlich ein großes HAPPY END, zuvor aber versteht es Morley auf unvergleichliche Weise, seine Leser mit den Freuden und Leiden eines bücherversessenen Antiquars vertraut zu machen – nicht ohne dabei ununterbrochen aus all seinen Lieblingsbüchern zu zitieren und uns Appetit zu machen, auf so manches bisher unbekannte oder übersehene Werk.
Für meine Abteilung mit Büchern über Bücher und Buchhändler reicht ein sehr kleines Regal. DAS HAUS DER VERGESSENEN BÜCHER aber hat seinen Platz darauf gefunden.
Horst Illmer
Christopher Morley
DAS HAUS DER VERGESSENEN BÜCHER. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann
(The Haunted Bookshop / 1919)
Hamburg, Atlantik bei Hoffmann & Campe, 2014, 255 S.
ISBN 978-3-455-60012-4
Wie in jeder gut geführten Bibliothek gibt es auch in meiner Sammlung verschiedene Abteilungen und Unter-Sparten, in die frisch eingehende Bücher einsortiert werden. Je kleiner eine solche Unterabteilung ist, desto wertvoller sind normalerweise die darin eingestellten Werke. Wobei sich „wertvoll“ nicht nur nach dem Alter oder Preis bemisst,
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Drohnenland
von Horst Illmer am 7. Dezember 2015 Kommentare deaktiviert für Drohnenland
Tom Hillenbrand
DROHNENLAND. Kriminalroman.
Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2014, 425 S.
KiWi-Taschenbuch
ISBN 978-3-462-04662-5
Manche Bücher passen in ihre Zeit wie die Faust aufs Auge. Der als Kriminalroman „getarnte“ Near-Future-Thriller DROHNENLAND des deutschen Bestseller-Autors Tom Hillenbrand ist so ein Buch. Obwohl bereits im Frühsommer 2014 erschienen, beschäftigt es sich mit den immer noch aktuellen „Aufregern“ Vorratsdatenspeicherung, Cyberkriminalität, überstaatliche Zusammenarbeit der Polizei innerhalb der Europäische Union und Drohnenkriegsführung.
Der1972 geborene Hillenbrand war Ressortleiter bei SPIEGEL ONLINE, wurde jedoch durch eine Reihe kulinarischer Krimis bekannt, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Offenbar überkam ihn dann jedoch eine Vision, wie ein Kapitalverbrechen in einigen Jahren von den dann europäisch organisierten und geführten Polizeibehörden untersucht und behandelt wird. Wie dabei die heute schon erkennbaren Überwachungsstrukturen praktisch ins Unendliche ausgeweitet wurden, wie virtuelle Welten den klassischen Tatort-Besuch ersetzen – und wie Verdächtige sich in digitalen Parallelwelten verstecken, ist eigentlich ein klassisches Science-Fiction-Thema.
Tom Hillenbrand
DROHNENLAND. Kriminalroman.
Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2014, 425 S.
KiWi-Taschenbuch
ISBN 978-3-462-04662-5
Manche Bücher passen in ihre Zeit wie die Faust aufs Auge. Der als Kriminalroman „getarnte“ Near-Future-Thriller DROHNENLAND des deutschen Bestseller-Autors Tom Hillenbrand ist so ein Buch. Obwohl bereits im Frühsommer 2014 erschienen, beschäftigt es sich mit den immer noch aktuellen „Aufregern“ Vorratsdatenspeicherung, Cyberkriminalität, überstaatliche Zusammenarbeit der Polizei innerhalb der Europäische Union und Drohnenkriegsführung.
Der1972 geborene Hillenbrand war Ressortleiter bei SPIEGEL ONLINE,
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