anrufen
finden

Das Buch Anderswo

von am 11. September 2024

Keanu Reeves & China Miéville
DAS BUCH ANDERSWO. Roman.
Ü: Jakob Schmidt, Ill: Sister Hyde
(THE BOOK OF ELSEWHERE / 2024)
Berlin, Gutkind, 2024, 528 S.
ISBN 978-3-98941-044-2 24,00 Euro
Hardcover

Okay. China Miéville, für lange Zeit einer meiner absoluten Lieblingsautoren, hat seit über zehn Jahren keinen Roman mehr veröffentlicht. Und jetzt das: eine Zusammenarbeit mit Keanu Reeves! Hoppla. Mit wem? Reeves ist doch ein Schauspieler. Actionfilme. Matrix. John Wick.
Aber: Reeves ist inzwischen auch als Comic-Autor unterwegs. Seine 12-teilige Miniserie BRZRKR war in den USA ein riesiger Erfolg. Auch dabei hatte Reeves Co-Autoren, allerdings stammt die Grundidee wohl komplett von ihm. Also durchaus bemerkenswert.
In diversen Interviews haben sowohl Reeves wie Miéville betont, wie harmonisch die Zusammenarbeit verlief – und zwischen den Zeilen konnte man herauslesen, dass wohl China Miéville den „Roman zum Comic“ geschrieben hat, also eine Geschichte aus dem Leben von „B.“ (wie Reeves’ Figur des „ewigen Kriegers“ genannt wird) erzählt, die in der Welt des sich rasant weiter entwickelnden BRZRKR-Universums spielt.
(Bis zum Beweis des Gegenteils werde ich DAS BUCH ANDERSWO also mal als China-Miéville-Roman betrachten. Was die Messlatte ziemlich hoch legt, nebenbei gesagt.)

Irgendwann in fernster Vergangenheit beginnt der Weg von B. – als unsterblicher Krieger und als ewig Suchender. Seine Mission ist ihm unbekannt, aber er kann nichts so gut wie töten. Und wenn es ihn selbst erwischt, kehrt er in immer gleicher Gestalt zurück, voll entwickelt und bereit für den nächsten Kampf. In den Pausen dazwischen versucht er einen Sinn zu finden für sein Dasein. Und er sucht nach einer Möglichkeit, diesen endlosen Kreislauf zu durchbrechen.
Als die Handlung des Romans einsetzt, ist er bei dieser Suche inzwischen im Hier und Jetzt angekommen und beim US-Militär, wo man ihm wohl glaubwürdig versichert hat, dass sich da schon die eine oder andere Gelegenheit finden würde, sein finales Ende herbeizuführen. Das erweist sich aber als Täuschungsmanöver – die Herrschaften sind eher daran interessiert, weitere unzerstörbare Soldaten herzustellen. Als sich dann jedoch weitere unsterbliche Wesen aus B.s Vergangenheit einmischen, entwickelt sich das Projekt plötzlich in eine durchaus unerwünschte Richtung …

Ja, soweit es Stil und Sprachvermögen angeht, liest sich DAS BUCH ANDERSWO tatsächlich wie ein Mieville-Roman, wenngleich er die Komplexität und Kunstfertigkeit seiner frühen „Bas-Lag“-Bücher nicht erreicht. Trotzdem erkennt man im Text Mievilles Affinität zu Surrealismus und Mystik. Aber das Setting in der BRZRKR-Welt scheint dann doch als zu limitiert, um darin literarische Höchstleistungen erreichen zu können. Es fehlt einfach die Möglichkeit, die Leser*innen überraschen zu können. Ich kann mir zum Beispiel einfach nicht vorstellen, dass noch irgendwer darüber erstaunt sein könnte, dass B. vom militärischen Komplex der USA hintergangen wird.
Und als einziges originelles mystisches Element ist mir ein Zombie-Babirusa (sprich ein gemeiner Hirscheber) dann doch zu wenig.

Auch wenn der englische Originalverlag damit wirbt, dass THE BOOK OF ELSEWHERE (so der Originaltitel) „allerfeinste Science-Fiction-Sahne sei, mit einem überraschenden Konzept und undurchschaubaren Charakteren“, so kann ich mich nur dem zweiten Teil dieses Werbespruches anschließen: „ mit einem Plot, der Action, Drama und Existenzialismus auf eine Weise verbindet, die die Leserschaft staunend zurücklässt“.

Für mich gehört DAS BUCH ANDERSWO leider viel zu sehr zum derzeitigen Mainstream, jedenfalls unter der Prämisse, dass es ein Mieville-Roman ist, um es wirklich genießen zu können; vielleicht sollte ich meine Ansprüche einfach etwas zurücknehmen und das Werk im Regal unter „R“ wie Reeves einsortieren?

Horst Illmer

von am 11. September 2024

Keanu Reeves & China Miéville
DAS BUCH ANDERSWO. Roman.
Ü: Jakob Schmidt, Ill: Sister Hyde
(THE BOOK OF ELSEWHERE / 2024)
Berlin, Gutkind, 2024, 528 S.
ISBN 978-3-98941-044-2 24,00 Euro
Hardcover

Okay. China Miéville, für lange Zeit einer meiner absoluten Lieblingsautoren, hat seit über zehn Jahren keinen Roman mehr veröffentlicht. Und jetzt das: eine Zusammenarbeit mit Keanu Reeves! Hoppla. Mit wem? Reeves ist doch ein Schauspieler. Actionfilme. Matrix. John Wick.
Aber: Reeves ist inzwischen auch als Comic-Autor unterwegs. Seine 12-teilige Miniserie BRZRKR war in den USA ein riesiger Erfolg. Auch dabei hatte Reeves Co-Autoren, allerdings stammt die Grundidee wohl komplett von ihm. Also durchaus bemerkenswert.
In diversen Interviews haben sowohl Reeves wie Miéville betont, wie harmonisch die Zusammenarbeit verlief – und zwischen den Zeilen konnte man herauslesen, dass wohl China Miéville den „Roman zum Comic“ geschrieben hat, also eine Geschichte aus dem Leben von „B.“ (wie Reeves’ Figur des „ewigen Kriegers“ genannt wird) erzählt, die in der Welt des sich rasant weiter entwickelnden BRZRKR-Universums spielt.
(Bis zum Beweis des Gegenteils werde ich DAS BUCH ANDERSWO also mal als China-Miéville-Roman betrachten. Was die Messlatte ziemlich hoch legt, nebenbei gesagt.)

Irgendwann in fernster Vergangenheit beginnt der Weg von B. – als unsterblicher Krieger und als ewig Suchender. Seine Mission ist ihm unbekannt, aber er kann nichts so gut wie töten. Und wenn es ihn selbst erwischt, kehrt er in immer gleicher Gestalt zurück, voll entwickelt und bereit für den nächsten Kampf. In den Pausen dazwischen versucht er einen Sinn zu finden für sein Dasein. Und er sucht nach einer Möglichkeit, diesen endlosen Kreislauf zu durchbrechen.
Als die Handlung des Romans einsetzt, ist er bei dieser Suche inzwischen im Hier und Jetzt angekommen und beim US-Militär, wo man ihm wohl glaubwürdig versichert hat, dass sich da schon die eine oder andere Gelegenheit finden würde, sein finales Ende herbeizuführen. Das erweist sich aber als Täuschungsmanöver – die Herrschaften sind eher daran interessiert, weitere unzerstörbare Soldaten herzustellen. Als sich dann jedoch weitere unsterbliche Wesen aus B.s Vergangenheit einmischen, entwickelt sich das Projekt plötzlich in eine durchaus unerwünschte Richtung …

Ja, soweit es Stil und Sprachvermögen angeht, liest sich DAS BUCH ANDERSWO tatsächlich wie ein Mieville-Roman, wenngleich er die Komplexität und Kunstfertigkeit seiner frühen „Bas-Lag“-Bücher nicht erreicht. Trotzdem erkennt man im Text Mievilles Affinität zu Surrealismus und Mystik. Aber das Setting in der BRZRKR-Welt scheint dann doch als zu limitiert, um darin literarische Höchstleistungen erreichen zu können. Es fehlt einfach die Möglichkeit, die Leser*innen überraschen zu können. Ich kann mir zum Beispiel einfach nicht vorstellen, dass noch irgendwer darüber erstaunt sein könnte, dass B. vom militärischen Komplex der USA hintergangen wird.
Und als einziges originelles mystisches Element ist mir ein Zombie-Babirusa (sprich ein gemeiner Hirscheber) dann doch zu wenig.

Auch wenn der englische Originalverlag damit wirbt, dass THE BOOK OF ELSEWHERE (so der Originaltitel) „allerfeinste Science-Fiction-Sahne sei, mit einem überraschenden Konzept und undurchschaubaren Charakteren“, so kann ich mich nur dem zweiten Teil dieses Werbespruches anschließen: „ mit einem Plot, der Action, Drama und Existenzialismus auf eine Weise verbindet, die die Leserschaft staunend zurücklässt“.

Für mich gehört DAS BUCH ANDERSWO leider viel zu sehr zum derzeitigen Mainstream, jedenfalls unter der Prämisse, dass es ein Mieville-Roman ist, um es wirklich genießen zu können; vielleicht sollte ich meine Ansprüche einfach etwas zurücknehmen und das Werk im Regal unter „R“ wie Reeves einsortieren?

Horst Illmer

1 Kommentar zu “Das Buch Anderswo”

  1. Gerd sagt:

    Lieber Horst,

    ich habe Comic und Buch gelesen und bin der Meinung, dass dein Urteil deutlich zu harsch ist.

    Ja, ich liebe ebenfalls China Miévilles wunderbare Steam Punk oder wie auch immer Welten. Die poetischen Beschreibungen und die epischen Entwürfe. Aber das hält mich nicht davon ab, auch diesen Roman genussvoll zu rezipieren.

    Manchmal sind solch hohe Messlatten ein unnötiges subjektives Hindernis. Und ja, mein lieber Horst, auch wenn ich deine Rezis sehr häufig als inspirierend empfinde, manchmal habe ich doch das Gefühl, dass dein Anspruch stets neue Superlative zu finden und immer wieder versteckte Trüffel auszugraben deinen Blick zu sehr von dem ablenkt, was Science Fiction und Phantastik auch immer war und ist: ein Spiel von Ideen, Situationen, Gesellschaften, Welten, Charakteren und was weiß ich noch allem. Eben ein Genre ohne Grenzen, ohne Konventionen. Ein Spielfeld für jedwede Idee und jede erdenkliche Situation. Und genau das ist es, was Phantastik immer wieder so bedeutend gemacht hat. Nicht nur die ganz großen Weltenentwürfe, die philosophisch pointierten Exposes, sondern auch all die witzigen oder eben dem Zeitgeist entsprungenen Ideen und Situationen, die erstaunlich oft in den Kanon der Popkultur oder des kollektiven Fundus eingegangen sind.

    Für mich gibt es da unzählige gigantische Beispiele. Und bei weitem nicht alle haben irgendeinen Anspruch im literarischen oder philosophischen Sinn. Oft sind es gerade die Werke großer Meister, die Einzug in unser gemeinschaftliches (Pop)Kulturgut gehalten haben, die gar nicht mal so ambitioniert oder elitär gedacht waren. Michael Moorcock hat seine Fantasy Epen immer als Broterwerb bezeichnet. Trotzdem ist Elric oder der ewige Held in den Pool der allgemeinen Bilder und Geschichten eingeflossen und nicht seine ambitionierten Werke der Science Fiction. Und ja, ich habe den Elric damals geliebt und liebe ihn noch heute (in der aufgewerteten aktuellen Neuübersetzung).

    Was letztendlich Einzug in unsere aller kulturellen Background hält, hängt von vielerlei Faktoren ab. Einer der Faktoren ist zum Beispiel eine perfekte Visualisierung. Wäre Philip Kindred Dick heute so populär, wenn nicht Ridley Scott und vor allem Syd Mead, der für das epochale Set Design verantwortlich war und sicher auch Evangelos Odysseas Papathanassiou alias Vangelis der die atmosphärisch dichte Filmmusik gezaubert hat, aus dem Roman "Träumen Roboter von elektrischen Schafen" den Film Blade Runner gemacht hätte?

    Warum kennen alle die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Universum und dem ganzen Rest, auch wenn sie keine Nerds oder sogar bekennende Ablehner von Science Fiction sind? Weil unser gemeinsamer Pool an Pop-kulturellem Wissen und Denken nicht abgrenzbar ist.

    Und eben genau deswegen ist der Roman von Miéville und Reeves mit Sicherheit interessant und vielleicht sogar deutlich zeitloser, als du es antizipierst. Weil der Roman in Verbindung mit dem Comic eine genreübergreifende Welt schafft, die auf viele aktuelle und im popkulturären Bereich abgespeicherten Bilder zugreift.

    Und weil Keanu Reeves eben wesentlich mehr ist, als einfach nur Neo und John Wick. Ich denke, dass du Keanu Reeves sehr reduzierst, wenn du ihn "nur" auf seine wohlgemerkt großartigen Rollen als "Action Schauspieler" reduzierst. Reeves ist heute viel mehr, als "nur" ein Schauspieler. Sein ethischer Impact und seine ganz eigene Philosophie sind tatsächlich bereits Teil unseres popkulturellen Wissens und unserer Kopfwelt geworden.

    Und wenn eine dieser großen Identifikationsfiguren unserer Zeit dann seinen ersten Gehversuch in Richtung Autorentum in zwei unterschiedlichen Genres beschreitet, ist das sicher nicht nur bemerkenswert, sondern auch potentiell zeitloser, als wir das jetzt und heute vermuten. Zumal als "uralt-Fans" des Genres.

    Ich hatte meinmen Spaß und ich möchte mir nicht anmaßen, den zeitgeistigen und auch fortwährenden Impact des beginnenden schriftstellerischen Wirkens eines Keanu Reeves jetz schon zu beurteilen.

Schreibe einen eigenen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

comicdealer.de