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Schöne Neue Welt

von am 28. Dezember 2018

Ich habe heute etwas loszuwerden, dass den normalen Rahmen eines Blogbeitrages sprengt. Trotzdem möchte ich alle mir zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen, um den Beitrag zu verbreiten. Dabei gibt es aber eine Sache, um die ich im Vorfeld bitten möchte. Wer auch immer von euch diesen Beitrag liest, soll sich die Zeit nehmen, ihn vollständig zu lesen. Auch wenn das heutigen Gewohnheiten widerspricht, ist es von essentieller Bedeutung. Bitte nehmt euch die Zeit jetzt oder verschiebt es auf eine ruhige Stunde. Es ist mir lieber, wenn ihr das Folgende nicht lest, als dass ihr es überfliegt oder anreißt. Ich möchte mit diesem Beitrag keine Diskussion beginnen, sondern einfach nur etwas erzählen. Deshalb ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet.

Die Achtziger

Als mein Dad Anfang 1981 unseren kleinen Laden aufgemacht hat, war ich noch ein halbgarer Rotzlöffel. Meine Haare standen als vielfarbiger Irokese zum Himmel, meine Jeans waren mit Domestos gebleicht, mein Ohr von oben bis unten durchstochen und auf meiner Lederjacke prangte "No Future" und "Born to be Wild".

Wir lebten in anderen Zeiten. Mein Vater war ein Held, der den Mut hatte, seinen Weg zu gehen. Als einer der ersten in Deutschland eröffnete er einen Laden für Fantasy und Science Fiction aller Art. Die Botschaft sprach sich – damals noch von Mund zu Mund – herum. Bald war der kleine Laden in der Valentin-Becker-Straße 1 1/2 Treffpunkt und Zuhause der Szene. Damals war man organisiert in Clubs, Stammtischen und Vereinen und veranstaltete Tauschbörsen, Cons und Treffen. Bei gemeinsamen Ausflügen wurden verbrüderte Vereine besucht, überregionale Treffen oder eben Tauschtage und Börsen in anderen Städten. Viele unserer heutigen Kunden können sich eine solche PräInternetWelt gar nicht mehr vorstellen. Die Welt war größer und ein Besuch auf dem Deutschlandtreffen des SFCD (Science Fiction Club Deutschland) in Berlin führte uns noch über die Transitstrecke durch die DDR.

Hermke traf mit seiner aus Sammelleidenschaft geborenen Entscheidung einen Genreladen zu eröffnen absolut ins Schwarze. Blauäugig und ohne irgendwelche kaufmännischen Vorkenntnisse aber mit viel Fleiß und Akribie, immensem Wissen und unter der schützenden Hand seiner im Staatsdienst befindlichen Frau startete er in seine dritte Berufskarriere. Im gleichen Jahr wurde Ronald Reagen Präsident der Vereinigten Staaten. Der Kalte Krieg und das Wettrüsten waren auf einem unerreichten Peak. Hunderttausende Deutsche und Europäer gingen für Frieden auf die Straßen.

Ein Nährboden für erschreckende Zukunftsvisionen in Science Fiction Romanen, aber genauso ein eskapistisches Eldorado für Fantasyautoren. So nahm alles seinen Lauf.

Irgendwann, gegen Ende der Achtziger fasste ich den Entschluss meine bisherigen, eher handwerklichen Zukunftspläne über den Haufen zu werfen, mich zum Buchhändler ausbilden zu lassen und in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.

Die Neunziger

In der letzten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts war Party angesagt. "No Future" war passé, alles schien machbar. Der kalte Krieg lag hinter uns, Deutschland war eins – das World Wide Web und die mobile Telefonie zeigten den Weg in eine wunderbar technisierte Zukunft.

Im längst völlig etablierten Laden hoben Trading Cards den Umsatz auf ungeahnte Höhen. Ich hatte meine Ausbildung zum Buchhändler hinter mich gebracht und war schon längst mit von der Partie und Bernie, der schon zu Schulzeiten immer wieder im Laden ausgeholfen hatte, natürlich auch noch. Zusammen feilten wir an großen Plänen. Wir wollten die Zeichen der Zeit richtig deuten und begannen mit dem Entwurf eines Warenwirtschaftssystems. Zu einer Zeit, da der Buchhandel Computer noch als fremdartige Höllenmaschinen und Buchlaufkarte und Karteikasten als zeitlos adäquate Mittel betrachtete.

Mitte der Neunziger traf mein Dad zum zweiten Mal eine mutige Entscheidung. Ich sollte den Laden übernehmen. Ohne zu zögern nahm ich meinen Mitstreiter Bernie ins Boot. Gemeinsam waren wir das perfekte Team, um den Laden weiterzuführen und in ein neues Jahrtausend zu bringen. Bernie, der Comicspezialist und ich selbst als Kind meines Vaters, dem die Welt der Phantastik schon im Kindesalter nahegebracht worden war. Hermke wäre natürlich immer noch Teil des Teams, aber wir beide sollten als neue Inhaber auf eigenen Beinen stehen.

Auch wir waren blauäugig ambitioniert und trotz Bernies BWL Studiums und meiner Buchhandelslehre alles andere als erfahrene Kaufleute. Bereits in den Jahren vor 96, als wir den Laden übernehmen sollten, versenkten wir gutes Geld im Versuch ein Expertensystem auf SQL Basis "einzukaufen" bzw für uns stricken zu lassen. Als dann der Stichtag der Übernahme kam, war dieser erste Versuch, in den wir viel Zeit, Know How und leider auch Geld investiert hatten bereits mehr oder weniger gescheitert und wir entschieden uns zu einer Inhouse Lösung, mit der dann Marcus als Informatiker mit ins Boot kam. Von da an begann ein langsamer und fließender Übergang zu einer digitalisierten Warenwirtschaft, die ständig erweitert und neuen Bedürfnissen angepasst wurde. Wie gesagt, der Buchhandel lag zu dieser Zeit noch tief im analogen Dornröschenschlaf.

Von 1981 bis 1995, der Zeit, in der mein Vater die Regie im Laden hatte, ging es stetig bergauf. Das, im Vergleich zu heute, noch minimale Sortiment wuchs langsam aber stetig. Lesen war nach wie vor eine adäquate Freizeitbeschäftigung, der erste Comicboom kam ins Rollen, Rollenspiele lagen noch breitenwirksam in Kaufhausregalen und Fantasyspiele aller Art, allen voran Richard Garfields Magic, pushte die Umsätze in ungeahnte Höhen.

1996 stellten wir mit unserem Jahresumsatz einen unglaublichen Rekord auf und alles schien phantastisch. Wie gesagt, wir waren (fast noch) jung und dumm (zumindest blauäugig). Dass Umsatz noch lange kein Gewinn ist und dass eine Geschäftsübernahme mit immensen Kosten verbunden ist, bekamen wir nach diesem Jahr beim Steuerberater mit. Nach diesem ersten Schock kündigte auch noch der freundliche Geschäftsführer unserer Sparkassenfiliale das seit Firmengründung bestehende Konto, beziehungsweise den kleinen Dispositionskredit. Die Euphorie kam etwas ins Stocken. Mein Dad musste uns damals aus der Bredouille helfen und wir waren auf dem Boden der Tatsachen.

Trotzdem waren die verbleibenden Neunziger dann eine produktive und positive Zeit. Modern Graphics, Dino Verlag, Börsengänge, US Importe, Trading Cards… Ein bis dahin ungeahntes Wachstum exakt der Nische, die unser Laden bediente, gepaart mit der wirtschaftlichen Stärke und damit einhergehenden Kaufkraft und Kaufwilligkeit brachte uns trotz langsam sinkender Umsätze wesentlich stabilere Gewinne. Zu Hochzeiten waren wir inklusive Aushilfen vier, fünf Leute im Laden und selten unterbeschäftigt. Heißa auf ins neue Jahrtausend!

Die Zweitausender

Das neue Millennium hat außer der Zwei in der vierten Vorkommastelle auch vieles andere verändert. Die erste Sache, auf die ich zu sprechen kommen möchte, ist heute allen klar. Seit 1998 mischt amazon (de) auf dem deutschen Markt mit und hat – zunächst langsam, aber mit konstanter Beschleunigung – erst nur den Markt und nach und nach auch unser Konsumverhalten und sogar unsere Denkweise verändert. Dabei ist amazon selbstverständlich nicht alleinverantwortlich, aber das System mit den wohl perfektesten Rädchen. Der zweite Punkt ist die Währungsunion und der Euro. Die 2002 letztendlich eingeführte Währung hat einen – zumindest gefühlten – rapiden Verlust an Kaufkraft bewirkt. Die Menschen waren gelinde gesagt verunsichert und gehemmt. Schluss war es mit der Euphorie der Neunziger. Und als dritten Faktor bricht uns bis 2008 auch noch ein großer Markt weg, da die in Würzburg stationierten US Streitkräfte abgezogen werden….

Getragen vom Schwung der Neunziger waren wir lange Zeit noch recht gelassen. Das wird sich schon wieder relativieren… Wir hielten weiterhin die Standarte der Phantastik hoch und zogen unser Ding durch. Bis es immer deutlicher wurde, dass die Umsätze unseren Laden in der Konstellation nicht länger tragen können. 2008 waren wir fast soweit, den ganzen Mist hinzuwerfen und aufzugeben. Irgendwie – und es ist nicht genau festzumachen wie – haben wir uns damals noch einmal aufgerappelt. Uns darauf besonnen, dass wir nicht nur ein kommerzielles Unternehmen führen, sondern unseren Traum leben und für Gleichgesinnte einen Ort bieten, an dem sie sich treffen, austauschen und Zuhause fühlen können. Wir haben da fast schon so etwas wie eine Pflicht.

Also entwickeln wir Strategien, nutzen soziale Medien, bauen unsere Internetpräsenz auf. Bernie und ich suchen uns Nebenjobs und arbeiten trotzdem Vollzeit im Laden. Wir denken sogar darüber nach, den Laden über einen öffentlichen Aufruf oder Crowdfunding zu stärken.

Letztendlich gelingt es uns, das Ruder herumzureißen und die Lage zu stabilisieren…

Die Zweitausendzehner

Der Hoffnungsschimmer steigender Umsätze trägt uns wieder nach oben. Wir stecken unendlich viel Aufwand in Zusatzaufgaben, besuchen Conventions und Treffen an Wochenenden mit Ständen, pushen die Internetpräsenz, investieren allgemein viel Energie und Freizeit in den Laden. André, als letzter Auszubildender wird Teilzeit übernommen und wir konzentrieren uns wieder stärker auf den US Import. Alles sieht ganz gut aus und trotz der Vollsperrung der Valentin-Becker-Straße für fast ein ganzes Jahr erreichen wir bis 2015 wieder ein rentables Umsatzniveau. Dabei haben wir aber in jedem Jahr gute zehn Wochenenden auf Veranstaltungen durchgearbeitet und bis zu zehn Zeichner und Autoren für euch aufgefahren. Der Aufwand scheint sich zu lohnen. Wir sind die letzten, die nicht gerne zupacken, wenn es einen Sinn hat. Auch wenn man das oft nicht sieht und wir zehn mal am Tag mit dem Satz begrüßt werden: "Mann, habt ihr ein Leben"…

Wenn man glaubt, dass jetzt alles gut wird, tut sich irgendeine neue Teufelei auf. Die Signierstunden, die wir mit viel Aufwand für euch organisieren, verlieren an Wert, weil große, überregionale Veranstaltungen uns die Show stehlen. Da fliegen wir Marvel Zeichner pünktlich zu Filmstarts ein und in der Schlange stehen nur noch fünfzehn Fans. Wir haben sensationelle Künstler aus dem fernen China zu Gast, die in dieser Form in Europa wahrscheinlich nie mehr zu sehen sind und nicht einmal fünf Interessenten sind anwesend. Nicht gerade das, was man besonders erfolgreich nennt

Gleichzeitig werden andere, einfacher zu konsumierende Medien immer wichtiger: perfekt inszenierte Fantasy-Verfilmungen, spannende und gut gemachte Serien und Filme aus den Superhelden Universen, immer realere digitale Spiele. Da bleibt irgendwann kaum noch Zeit für das gute alte Lesen und schon gar nicht für den Ladenbesuch. Im Internet bestellt – (natürlich nicht bei uns – amazon ist und bleibt einfach immer die Messlatte) schön Zuhause – gleich nach der Netflix Serie – schnell auf Sofortkauf geklickt.

Das Ende vom Lied ist, dass nach 2015, zuerst langsam, in diesem Jahr aber erschreckend rapide die Besucherfrequenz und die Umsätze zurückgegangen sind. Manch quälend langen Tag standen wir für einstellige Kundenzahlen im Laden. Das ist weniger, als im Jahr der Straßensperre. Vor allem ist es zu wenig. Zu wenig um den Laden in dieser Form zu tragen. Deswegen müssen wir, um überhaupt noch eine Chance zu haben, den Laden verkleinern. Es tut uns in der Seele weh, aber es führt kein Weg daran vorbei, auf Marcus und André zu verzichten und den Laden zu zweit weiter zu betreiben.

Morgen

Vielleicht haben wir auf diese Weise noch eine Chance, weiterhin für euch da zu sein. Was wir können, ist es euch, den Fans von Fantasy, Science Fiction, Comics und Spielen ein Zuhause zu bieten, in dem gefachsimpelt werden kann, in dem man persönlich beraten wird und in dem man Gleichgesinnte und manchmal sogar Zeichner, Autoren und andere Stargäste trifft. Wir können versuchen euch all das weiterhin zu bieten. Aber es kommt nicht nur auf uns an. Wir brauchen euch dafür. Denn ohne euch, die ihr diesen realen Raum in einer zunehmend virtuellen Welt in persona füllt, macht alles keinen Sinn. Seht einfach wie schön und wertvoll Samstage in unserem Laden sind. Weil da genügend von euch da sind, dass es funktioniert. Unter der Woche ist das leider überhaupt nicht mehr so. Ohne euch funktioniert die Maschine nicht und die Unken, die rufen, dass sich ein solcher Laden als Dinosaurier überlebt hat, bekommen recht.

Ihr müsst das Ganze wollen. Ihr müsst den Laden besuchen, euch Zeit nehmen, den Klick bei uns lassen, uns zeigen, dass das was wir tun, es wert ist, viel Zeit für wenig Geld zu opfern. Dass wir damit das Richtige tun. Sonst geht diese Möglichkeit – dieser Ort verloren, der Welt draußen zu entfliehen. Für alle.

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im Webshop bestellen oder via e-mail im Laden anfragen

von am 28. Dezember 2018

Ich habe heute etwas loszuwerden, dass den normalen Rahmen eines Blogbeitrages sprengt. Trotzdem möchte ich alle mir zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen, um den Beitrag zu verbreiten. Dabei gibt es aber eine Sache, um die ich im Vorfeld bitten möchte. Wer auch immer von euch diesen Beitrag liest, soll sich die Zeit nehmen, ihn vollständig zu lesen. Auch wenn das heutigen Gewohnheiten widerspricht, ist es von essentieller Bedeutung. Bitte nehmt euch die Zeit jetzt oder verschiebt es auf eine ruhige Stunde. Es ist mir lieber, wenn ihr das Folgende nicht lest, als dass ihr es überfliegt oder anreißt. Ich möchte mit diesem Beitrag keine Diskussion beginnen, sondern einfach nur etwas erzählen. Deshalb ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet.

Die Achtziger

Als mein Dad Anfang 1981 unseren kleinen Laden aufgemacht hat, war ich noch ein halbgarer Rotzlöffel. Meine Haare standen als vielfarbiger Irokese zum Himmel, meine Jeans waren mit Domestos gebleicht, mein Ohr von oben bis unten durchstochen und auf meiner Lederjacke prangte "No Future" und "Born to be Wild".

Wir lebten in anderen Zeiten. Mein Vater war ein Held, der den Mut hatte, seinen Weg zu gehen. Als einer der ersten in Deutschland eröffnete er einen Laden für Fantasy und Science Fiction aller Art. Die Botschaft sprach sich – damals noch von Mund zu Mund – herum. Bald war der kleine Laden in der Valentin-Becker-Straße 1 1/2 Treffpunkt und Zuhause der Szene. Damals war man organisiert in Clubs, Stammtischen und Vereinen und veranstaltete Tauschbörsen, Cons und Treffen. Bei gemeinsamen Ausflügen wurden verbrüderte Vereine besucht, überregionale Treffen oder eben Tauschtage und Börsen in anderen Städten. Viele unserer heutigen Kunden können sich eine solche PräInternetWelt gar nicht mehr vorstellen. Die Welt war größer und ein Besuch auf dem Deutschlandtreffen des SFCD (Science Fiction Club Deutschland) in Berlin führte uns noch über die Transitstrecke durch die DDR.

Hermke traf mit seiner aus Sammelleidenschaft geborenen Entscheidung einen Genreladen zu eröffnen absolut ins Schwarze. Blauäugig und ohne irgendwelche kaufmännischen Vorkenntnisse aber mit viel Fleiß und Akribie, immensem Wissen und unter der schützenden Hand seiner im Staatsdienst befindlichen Frau startete er in seine dritte Berufskarriere. Im gleichen Jahr wurde Ronald Reagen Präsident der Vereinigten Staaten. Der Kalte Krieg und das Wettrüsten waren auf einem unerreichten Peak. Hunderttausende Deutsche und Europäer gingen für Frieden auf die Straßen.

Ein Nährboden für erschreckende Zukunftsvisionen in Science Fiction Romanen, aber genauso ein eskapistisches Eldorado für Fantasyautoren. So nahm alles seinen Lauf.

Irgendwann, gegen Ende der Achtziger fasste ich den Entschluss meine bisherigen, eher handwerklichen Zukunftspläne über den Haufen zu werfen, mich zum Buchhändler ausbilden zu lassen und in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.

Die Neunziger

In der letzten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts war Party angesagt. "No Future" war passé, alles schien machbar. Der kalte Krieg lag hinter uns, Deutschland war eins – das World Wide Web und die mobile Telefonie zeigten den Weg in eine wunderbar technisierte Zukunft.

Im längst völlig etablierten Laden hoben Trading Cards den Umsatz auf ungeahnte Höhen. Ich hatte meine Ausbildung zum Buchhändler hinter mich gebracht und war schon längst mit von der Partie und Bernie, der schon zu Schulzeiten immer wieder im Laden ausgeholfen hatte, natürlich auch noch. Zusammen feilten wir an großen Plänen. Wir wollten die Zeichen der Zeit richtig deuten und begannen mit dem Entwurf eines Warenwirtschaftssystems. Zu einer Zeit, da der Buchhandel Computer noch als fremdartige Höllenmaschinen und Buchlaufkarte und Karteikasten als zeitlos adäquate Mittel betrachtete.

Mitte der Neunziger traf mein Dad zum zweiten Mal eine mutige Entscheidung. Ich sollte den Laden übernehmen. Ohne zu zögern nahm ich meinen Mitstreiter Bernie ins Boot. Gemeinsam waren wir das perfekte Team, um den Laden weiterzuführen und in ein neues Jahrtausend zu bringen. Bernie, der Comicspezialist und ich selbst als Kind meines Vaters, dem die Welt der Phantastik schon im Kindesalter nahegebracht worden war. Hermke wäre natürlich immer noch Teil des Teams, aber wir beide sollten als neue Inhaber auf eigenen Beinen stehen.

Auch wir waren blauäugig ambitioniert und trotz Bernies BWL Studiums und meiner Buchhandelslehre alles andere als erfahrene Kaufleute. Bereits in den Jahren vor 96, als wir den Laden übernehmen sollten, versenkten wir gutes Geld im Versuch ein Expertensystem auf SQL Basis "einzukaufen" bzw für uns stricken zu lassen. Als dann der Stichtag der Übernahme kam, war dieser erste Versuch, in den wir viel Zeit, Know How und leider auch Geld investiert hatten bereits mehr oder weniger gescheitert und wir entschieden uns zu einer Inhouse Lösung, mit der dann Marcus als Informatiker mit ins Boot kam. Von da an begann ein langsamer und fließender Übergang zu einer digitalisierten Warenwirtschaft, die ständig erweitert und neuen Bedürfnissen angepasst wurde. Wie gesagt, der Buchhandel lag zu dieser Zeit noch tief im analogen Dornröschenschlaf.

Von 1981 bis 1995, der Zeit, in der mein Vater die Regie im Laden hatte, ging es stetig bergauf. Das, im Vergleich zu heute, noch minimale Sortiment wuchs langsam aber stetig. Lesen war nach wie vor eine adäquate Freizeitbeschäftigung, der erste Comicboom kam ins Rollen, Rollenspiele lagen noch breitenwirksam in Kaufhausregalen und Fantasyspiele aller Art, allen voran Richard Garfields Magic, pushte die Umsätze in ungeahnte Höhen.

1996 stellten wir mit unserem Jahresumsatz einen unglaublichen Rekord auf und alles schien phantastisch. Wie gesagt, wir waren (fast noch) jung und dumm (zumindest blauäugig). Dass Umsatz noch lange kein Gewinn ist und dass eine Geschäftsübernahme mit immensen Kosten verbunden ist, bekamen wir nach diesem Jahr beim Steuerberater mit. Nach diesem ersten Schock kündigte auch noch der freundliche Geschäftsführer unserer Sparkassenfiliale das seit Firmengründung bestehende Konto, beziehungsweise den kleinen Dispositionskredit. Die Euphorie kam etwas ins Stocken. Mein Dad musste uns damals aus der Bredouille helfen und wir waren auf dem Boden der Tatsachen.

Trotzdem waren die verbleibenden Neunziger dann eine produktive und positive Zeit. Modern Graphics, Dino Verlag, Börsengänge, US Importe, Trading Cards… Ein bis dahin ungeahntes Wachstum exakt der Nische, die unser Laden bediente, gepaart mit der wirtschaftlichen Stärke und damit einhergehenden Kaufkraft und Kaufwilligkeit brachte uns trotz langsam sinkender Umsätze wesentlich stabilere Gewinne. Zu Hochzeiten waren wir inklusive Aushilfen vier, fünf Leute im Laden und selten unterbeschäftigt. Heißa auf ins neue Jahrtausend!

Die Zweitausender

Das neue Millennium hat außer der Zwei in der vierten Vorkommastelle auch vieles andere verändert. Die erste Sache, auf die ich zu sprechen kommen möchte, ist heute allen klar. Seit 1998 mischt amazon (de) auf dem deutschen Markt mit und hat – zunächst langsam, aber mit konstanter Beschleunigung – erst nur den Markt und nach und nach auch unser Konsumverhalten und sogar unsere Denkweise verändert. Dabei ist amazon selbstverständlich nicht alleinverantwortlich, aber das System mit den wohl perfektesten Rädchen. Der zweite Punkt ist die Währungsunion und der Euro. Die 2002 letztendlich eingeführte Währung hat einen – zumindest gefühlten – rapiden Verlust an Kaufkraft bewirkt. Die Menschen waren gelinde gesagt verunsichert und gehemmt. Schluss war es mit der Euphorie der Neunziger. Und als dritten Faktor bricht uns bis 2008 auch noch ein großer Markt weg, da die in Würzburg stationierten US Streitkräfte abgezogen werden….

Getragen vom Schwung der Neunziger waren wir lange Zeit noch recht gelassen. Das wird sich schon wieder relativieren… Wir hielten weiterhin die Standarte der Phantastik hoch und zogen unser Ding durch. Bis es immer deutlicher wurde, dass die Umsätze unseren Laden in der Konstellation nicht länger tragen können. 2008 waren wir fast soweit, den ganzen Mist hinzuwerfen und aufzugeben. Irgendwie – und es ist nicht genau festzumachen wie – haben wir uns damals noch einmal aufgerappelt. Uns darauf besonnen, dass wir nicht nur ein kommerzielles Unternehmen führen, sondern unseren Traum leben und für Gleichgesinnte einen Ort bieten, an dem sie sich treffen, austauschen und Zuhause fühlen können. Wir haben da fast schon so etwas wie eine Pflicht.

Also entwickeln wir Strategien, nutzen soziale Medien, bauen unsere Internetpräsenz auf. Bernie und ich suchen uns Nebenjobs und arbeiten trotzdem Vollzeit im Laden. Wir denken sogar darüber nach, den Laden über einen öffentlichen Aufruf oder Crowdfunding zu stärken.

Letztendlich gelingt es uns, das Ruder herumzureißen und die Lage zu stabilisieren…

Die Zweitausendzehner

Der Hoffnungsschimmer steigender Umsätze trägt uns wieder nach oben. Wir stecken unendlich viel Aufwand in Zusatzaufgaben, besuchen Conventions und Treffen an Wochenenden mit Ständen, pushen die Internetpräsenz, investieren allgemein viel Energie und Freizeit in den Laden. André, als letzter Auszubildender wird Teilzeit übernommen und wir konzentrieren uns wieder stärker auf den US Import. Alles sieht ganz gut aus und trotz der Vollsperrung der Valentin-Becker-Straße für fast ein ganzes Jahr erreichen wir bis 2015 wieder ein rentables Umsatzniveau. Dabei haben wir aber in jedem Jahr gute zehn Wochenenden auf Veranstaltungen durchgearbeitet und bis zu zehn Zeichner und Autoren für euch aufgefahren. Der Aufwand scheint sich zu lohnen. Wir sind die letzten, die nicht gerne zupacken, wenn es einen Sinn hat. Auch wenn man das oft nicht sieht und wir zehn mal am Tag mit dem Satz begrüßt werden: "Mann, habt ihr ein Leben"…

Wenn man glaubt, dass jetzt alles gut wird, tut sich irgendeine neue Teufelei auf. Die Signierstunden, die wir mit viel Aufwand für euch organisieren, verlieren an Wert, weil große, überregionale Veranstaltungen uns die Show stehlen. Da fliegen wir Marvel Zeichner pünktlich zu Filmstarts ein und in der Schlange stehen nur noch fünfzehn Fans. Wir haben sensationelle Künstler aus dem fernen China zu Gast, die in dieser Form in Europa wahrscheinlich nie mehr zu sehen sind und nicht einmal fünf Interessenten sind anwesend. Nicht gerade das, was man besonders erfolgreich nennt

Gleichzeitig werden andere, einfacher zu konsumierende Medien immer wichtiger: perfekt inszenierte Fantasy-Verfilmungen, spannende und gut gemachte Serien und Filme aus den Superhelden Universen, immer realere digitale Spiele. Da bleibt irgendwann kaum noch Zeit für das gute alte Lesen und schon gar nicht für den Ladenbesuch. Im Internet bestellt – (natürlich nicht bei uns – amazon ist und bleibt einfach immer die Messlatte) schön Zuhause – gleich nach der Netflix Serie – schnell auf Sofortkauf geklickt.

Das Ende vom Lied ist, dass nach 2015, zuerst langsam, in diesem Jahr aber erschreckend rapide die Besucherfrequenz und die Umsätze zurückgegangen sind. Manch quälend langen Tag standen wir für einstellige Kundenzahlen im Laden. Das ist weniger, als im Jahr der Straßensperre. Vor allem ist es zu wenig. Zu wenig um den Laden in dieser Form zu tragen. Deswegen müssen wir, um überhaupt noch eine Chance zu haben, den Laden verkleinern. Es tut uns in der Seele weh, aber es führt kein Weg daran vorbei, auf Marcus und André zu verzichten und den Laden zu zweit weiter zu betreiben.

Morgen

Vielleicht haben wir auf diese Weise noch eine Chance, weiterhin für euch da zu sein. Was wir können, ist es euch, den Fans von Fantasy, Science Fiction, Comics und Spielen ein Zuhause zu bieten, in dem gefachsimpelt werden kann, in dem man persönlich beraten wird und in dem man Gleichgesinnte und manchmal sogar Zeichner, Autoren und andere Stargäste trifft. Wir können versuchen euch all das weiterhin zu bieten. Aber es kommt nicht nur auf uns an. Wir brauchen euch dafür. Denn ohne euch, die ihr diesen realen Raum in einer zunehmend virtuellen Welt in persona füllt, macht alles keinen Sinn. Seht einfach wie schön und wertvoll Samstage in unserem Laden sind. Weil da genügend von euch da sind, dass es funktioniert. Unter der Woche ist das leider überhaupt nicht mehr so. Ohne euch funktioniert die Maschine nicht und die Unken, die rufen, dass sich ein solcher Laden als Dinosaurier überlebt hat, bekommen recht.

Ihr müsst das Ganze wollen. Ihr müsst den Laden besuchen, euch Zeit nehmen, den Klick bei uns lassen, uns zeigen, dass das was wir tun, es wert ist, viel Zeit für wenig Geld zu opfern. Dass wir damit das Richtige tun. Sonst geht diese Möglichkeit – dieser Ort verloren, der Welt draußen zu entfliehen. Für alle.

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